Auktionshaus

Auktion: Zeitgenössische Kunst

04. Dezember 2019, 16:00 Uhr

0750

Juan Muñoz*

(Madrid 1953 - 2001 Ibiza)

„Chino mirándose en espejo redondo“
1999
Polyesterharz, Spiegel
Figur: 142 x 48 x 43 cm Spiegel: 90 cm Durchmesser
Unikat

Provenienz

erworben 1999 direkt von Juan Muñoz (im Zuge der Art Basel);
seither Privatsammlung, Brasilien

Schätzpreis: € 300.000 - 500.000
Auktion ist beendet.

Der „Chinese betrachtet sich im runden Spiegel“ und lächelt sich dabei freundlich zu - ein nur allzu alltägliches Bild, möchte man meinen. Doch etwas stimmt hier nicht: Ist es die zu kleine Statur des Mannes? Sind es seine Füße, die unter der überlangen Hose verborgen bleiben? Oder ist es sein zur Maske erstarrtes Grinsen?
Und damit sind wir in die faszinierende Welt von Juan Muñoz eingetaucht. Der spanische Künstler hat die Figur 1999 geschaffen; sie gehört zu der Reihe von Skulpturen mit asiatischen Gesichtszügen, die eine der Eckpunkte seines Œuvres bildet. Das erste Mal tauchen die von ihm selbst so bezeichneten „Chinesen“ im Jahr 1996 in dem Werk „Plaza (Madrid)“ auf, einer Installation mit fünf im Raum stehenden, sich scheinbar unterhaltenden Figuren, die er im Auftrag des Museums Palacio Velazquez in Madrid schuf und die heute der Sammlung des Nationalmuseums Reina Sofia in Madrid angehören.
Alle ihre Gesichter gleichen einander – und tatsächlich hat Muñoz für seine Chinesen dieselbe Vorlage verwendet, nämlich eine Art Nouveau Büste. Gleichzeitig haben seine Köpfe jedoch auch etwas von Franz Xaver Messerschmidts Charakterköpfen des 18. Jahrhunderts. „Ich versuche, den Betrachter zu fesseln. Und dann, unbewusst, aber umso spannender, versuche ich ihn darauf hinzuweisen, dass etwas faul ist. Als ich damit anfing, die lachenden Chinesen zu machen, hatte ich zwei Assistenten. Sie sagten mir, sie wollten nicht über Nacht alleine mit diesen Figuren im Atelier bleiben.“ (Neal Benezra und Olga M. Viso in Juan Muñoz ©University of Chicago Press 2001, Seiten 145-150.)
Denn des Chinesen breites Grinsen löst zuerst vielleicht Belustigung aus, doch bald schon eine tiefere Irritation. Der Beobachter muss ja nur selbst in den Spiegel sehen, um festzustellen, dass der Chinese eigentlich über ihn lacht. So steht der Betrachter zwar neben der Figur, bleibt ihr jedoch emotional fern.
Dieses Spiel von Nähe und Distanz beherrscht der Künstler meisterhaft. Der Betrachter muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass seine Gegenwart für die Bedeutung der Skulptur gänzlich unwichtig ist. „Ich glaube daran, dass die besten Arbeiten ganz ohne Betrachter auskommen“, sagt Muñoz denn auch. (B.J. Scheuermann in Juan Muñoz – Rooms of My Mind, Ausstellungskatalog, K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 2006, Seite 158.)
Der Zuseher bleibt somit ein Fremder, ein Eindringling in die Welt des Chinesen; beide sind unfähig, sich zu verständigen. Muñoz thematisiert immer wieder das Versagen der Kommunikation; seine Arbeit hier ist geradezu visionär. Nimmt sie doch unsere Gegenwart, in der durch Smartphones zwischenmenschlicher Kontakt abnimmt oder oberflächlich stattfindet, um Jahre vorweg. Genauso aktuell ist seine Faszination mit Narzissmus. Wir ertappen die Figur in einem Moment der Selbstbetrachtung, und diese Entdeckung verunsichert uns. Denn – will ich dabei gesehen werden, wie ich jemand anderen – oder mich selbst – ansehe?
Muñoz, 1953 geboren, wurde in den 1980-er Jahren mit Installationen bekannt, in denen er menschliche Figuren in eigens konstruierte Räume stellte. Menschlich? Seine Darstellungen haben immer etwas Seltsames – vor den Chinesen schuf er merkwürdige Zwerge, Akrobaten oder Kegelfiguren. Immer erzählen sie eine Geschichte.
„Ich erinnere mich, in den 1990-er Jahren ein Geschichtenerzähler genannt worden zu sein, und daher nicht wirklich ein Künstler. Aber es ist doch nichts daran falsch, ein Geschichtenerzähler zu sein.“ (Neal Benezra und Olga M. Viso in Juan Muñoz ©University of Chicago Press 2001, Seiten 145-150.)
Im Jahr 2000 erhielt Muñoz den großen Kunstpreis von Spanien; er war der erste spanische Künstler, bei dem die Tate Modern Gallery in London eine monumentale Arbeit für ihre Turbinenhalle in Auftrag gab. „Double Bind“ war 2001 das letzte Werk, das der 48-Jährige vor seinem plötzlichen Tod im selben Jahr vollendete. Seine Arbeiten sind etwa in den Sammlungen der Tate Modern, des MOMA New York oder des Hirshhorn Museum Washington zu finden. (Alexandra Markl)