Auktionshaus

Auktion: Klassische Moderne

26. November 2013, 17:00 Uhr

0513

Paul Klee

(Münchenbuchsee bei Bern 1879 - 1940 Muralto)

„Ausritt auf dem Oger (neue Fassung)“
1925
Ölpause und Aquarell auf Papier auf Karton (Ölfarbezeichnung aquarelliert starkes Aquarellpapier)
34,5 × 54 cm
Signiert links unten: Klee
Bezeichnet und datiert unten Mitte: Ausritt auf dem Oger / 1925 B. 1. (neue Fassung)
Auf dem Karton links unten bezeichnet: VI

Provenienz

Rudolf Probst (Galerie Neue Kunst Fides; Das Kunsthaus), Dresden/Mannheim (1928-1933); Rolf und Catherine E. Bürgi, Bern (bis 1952); Galerie Rosengart, Luzern (1952-1972); Galleria Galatea, Turin (ab 1972); Berggruen & Cie, Paris; Lovers of Fine Arts Ltd, Gstaad; seit 1990 Privatbesitz, Österreich
(Auktionen: London, Sotheby's, 5. 7. 1979, lot 441; Bern, Galerie Kornfeld, 26. 6. 1981, lot 108; London, Christie's, 28. 11. 1989, lot 175)

Ausstellung

1925 Galerie Vavin-Raspail, Paris (Paul Klee, 39 aquarelles, 21. 10. - 14. 11. 1925), Nr. 7; 1926 Prag (Paul Klee, 60 Aquarelle, 27. 2. - 14. 3. 1926), Nr. 46; 1926 Galerie Neue Kunst Fides, Dresden (Paul Klee, 21. Mai - Ende Juni 1926), Nr. 52; 1929 Norddeutsche Ausstellungsvereinigung, Städtisches Museum, Stettin (bis 7. 4. 1929), Nr. 39; 1929 Galerie Ferdinand Möller, Berlin (Blaue Vier, Oktober 1929), Nr. 127; 1930 Galerie Neue Kunst Fides, Dresden (Paul Klee zum 50. Geburtstage, Aquarelle aus den Jahren 1920-1929, 1. Feb. - Anfang März 1930), Nr. 46; 1931 Kestner Gesellschaft, Hannover (Paul Klee, Gemälde, Aquarelle, Graphik 1903 - 1930, 7. 3. - 5. 4. 1931); 1964 Galerie Rosengart, Luzern (Tiere in der Kunst von Paul Klee, Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Sommer 1964), Nr. 31 (Abb.); 1967/1968 Pasadena / San Francisco / Columbus u. a. (Paul Klee 1879-1940, A Retrospective Exhibition), Nr. 78, Abb. S. 57; 1970/1971 Haus der Kunst, München (Paul Klee 1879-1940, 10. 10. 1970 - 3. 1. 1971), Nr. 70; 1986 Paris (Artcurial, L'aventure surréaliste d'André Breton, Mai - Juli 1986), Nr. 145, Abb. S. 47

Literatur

Paul Klee, catalogue raisonné, Band 4, 1923-1926, herausgegeben von der Paul-Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern, Bern 2000, Nr. 3792, sw-Abb. S. 347

Beiliegend Expertise von Dr. Jürgen Glaesemer, Paul Klee Stiftung Bern, vom 26. Juli 1985.

Schätzpreis: € 150.000 - 300.000
Ergebnis: € 256.000 (inkl. Gebühren)

"We confirm that this work is an original by Paul Klee mentioned in his own oeuvre catalogue as follows: 1925, 111 (B 1) Ausritt auf dem Oger (neue Fassung), Ölfarbezeichnung aquarelliert, starkes Aquarellpapier." - Wir bestätigen, dass diese Arbeit ein Original von Paul Klee ist und in seinem eigenen Werkkatalog wie folgt erwähnt wird: 1925, 111 (B 1), Ausritt auf dem Oger (neue Fassung), Ölfarbezeichnung aquarelliert, starkes Aquarellpapier. (Expertise von Dr. Jürgen Glaesemer, 26. Juli 1985)

Der Begriff „Oger“ wird im deutschsprachigen Raum eher selten verwendet und seine Bedeutung ist daher nicht unbedingt geläufig. Ursprünglich wohl auf das lateinische Wort „orcus“ („Unterwelt“) zurückgehend, bezeichnet das Wort „Oger“ meist ein tierisches, menschenähnliches Wesen der Märchen- und Fabelwelt. Manchmal wird es als missgestalteter Riese oder Angst einflößender „Menschenfresser“ umschrieben, der unberechenbare Kräfte freisetzen und Schrecken verursachen kann. Auf dem hier präsentierten, 1925 entstanden Aquarell Paul Klees taucht dieses sonderbare tierische Fantasiewesen als zentraler Bildgegenstand auf, explizit gemacht durch den Titel „Ausritt auf dem Oger“.

Das ungewöhnliche Bildthema hatte Klee schon 1923 für sich entdeckt: eine Bleistiftzeichnung (Abb. 1, WV-Nr. 3300) und ein Aquarell (Abb. 2, WV-Nr. 3251) aus diesem Jahr tragen denselben Titel und zeigen eine nur leicht variierte Bildkomposition. Die Darstellung dieses fiktiven Wesens entsprach Klees Hang zum Fantastischen, Visionären und Grotesken. Wie ein roter Faden zieht sich der Themenkomplex von Märchen, Mythen und Fantasiewelten durch sein umfangreiches, insgesamt mehr als neuntausend Werke umfassendes Oeuvre. Das Element des Bizarren und Skurrilen ist dabei ein prägender Faktor seines Motivrepertoires. Voller Erfindungsgabe und mit spielerischer Leichtigkeit imaginiert Klee poetische Welten, in denen alles sonderbar und geheimnisvoll erscheint. Wirklichkeit und Traum, Reales und Surreales verschmelzen, visionäre Welten entstehen, wo Menschen, Tiere und Fabelwesen aller Art ungewohnte Symbiosen bilden.
Was genau aber zeigt uns Klees „Ausritt auf dem Oger“? Wie lässt sich das Dargestellte lesen und wie in Worte fassen?
In der linken Bildhälfte sieht man in der Ferne eine kleine Behausung. Das Fundament des Hauses bildet eine extrem nach oben steigende Diagonale. Auf fallendem Gelände platziert und perspektivisch verzerrt dargestellt, wirkt das Haus instabil, so als ob es abzurutschen drohe. Der Ritt des Figurenpaares hat von diesem Haus seinen Ausgang genommen: markante Trittspuren zeichnen den Weg der seltsamen, einem Pferd nur ansatzweise ähnelnden Oger-Figur nach. Eine dünne, geschwungene Linie, die gegenständlich als Hügelformation lesbar ist, gibt die Bewegungsrichtung des Figurenpaares von links nach rechts an. Ein nur schematisch umrissener Mensch steht steif auf dem Rücken des ebenso schemenhaft skizzierten Tieres. Als wären sie in ihrem Bewegungsmoment eingefroren, wirken die Figuren starr und paralysiert. Zugleich scheinen sie in rätselhafter Weise der Schwerkraft enthoben zu sein: der „Ausritt auf dem Oger“ gleicht einem traumartigen, schwerelosen Schweben und wird bei Klee zur Symbolfigur des rational Unfassbaren: Mensch und Oger gehen eine unerklärliche Beziehung ein, verschiedene Existenzbereiche spielen merkwürdig zusammen und unterschiedliche Realitätsebenen durchdringen einander. Die Darstellung evoziert ambivalente Emotionen: sie ist einerseits nicht frei von Humor und einem ironischen Unterton. Andererseits wirkt die Szene des surrealen Ritts einer menschlichen Figur auf der tierischen Oger-Gestalt irritierend und hintergründig. Das Werk gehört zu jenen Bildschöpfungen Klees, die sich uns in ihrer Rätselhaftigkeit und Unergründlichkeit entziehen - und wohl gerade auch deshalb mit jedem Blick neu faszinieren.
Anfang 1919 entwickelte Klee eine spezielle grafische Technik, die „Ölfarbezeichnung“, deren Möglichkeiten er während seiner Lehrtätigkeit am Bauhaus in Weimar und Dessau in den 1920-er Jahren intensiv erprobte. Er entwarf Vorzeichnungen und übertrug diese mit Hilfe von einfachen Pausverfahren auf eine farbige Komposition. Als Pause verwendete er ein mit schwarzer Ölfarbe beschmiertes Papier. Diese eigenwillige Übertragungstechnik hinterließ dunkle Flecken auf der Bildfläche und erzeugte die besondere Linien- und Farbstruktur der Blätter. Manchmal aquarellierte er die Ölpause und schuf so mehrere farbige Fassungen derselben Zeichnung. Das Aquarell „Ausritt auf dem Oger“ ist ein charakteristisches Beispiel dieser speziellen Werkgruppe der Ölfarbezeichnungen, die Klees Freude am Experiment und seine schier unerschöpfliche Kreativität widerspiegeln: der Bildkomposition liegt eine Vorzeichnung zugrunde, die durch eine Ölpause auf das farbige Blatt übertragen wurde. Die dunklen, fleckigen Spuren schwarzer Ölfarbe, die sich willkürlich über die Bildfläche legen, verweisen auf den besonderen Entstehungsprozess des Blattes.
Ein charakteristisches Merkmal dieser Schaffensjahre ist die kontinuierlich geführte Linie, die ohne Zäsur immer weitergezogen wird. So entsteht der Eindruck eines dynamischen Lineaments, das fließend von einer zur anderen Form übergeht. Klee näherte sich damit der „écriture automatique“ der Surrealisten, an deren erster Gruppenausstellung in Paris er 1925 teilnahm. Bezeichnend für Klees künstlerischen Umgang mit der Farbe ist die zurückhaltende Kolorierung des Blattes: Die zarte, changierende Farbgestaltung lässt das Liniengerüst wie eine ephemere Erscheinung wirken und steht damit ganz in Einklang mit dem visionären Bildinhalt. Als wahres Kleinod der Kunst Paul Klees zeigt das Aquarell „Ausritt auf dem Oger“ wie souverän sich Klees Formensprache im grafischen Medium artikuliert. Durch äußerste Reduktion der formalen Mittel erreicht er größte Ausdruckskraft und Bildwirkung.

Auf der Suche nach einer völlig neuen, unverbrauchten authentischen Gestaltungskraft tendierte Klee zu einfachen Ausdrucksformen und entwickelte schon früh eine Faszination für kindliche Erfahrungswelten. „Kein Pathos, kein Intellekt mehr, kein Ethos! Ein Betrachter über der Welt oder in der Welt ein Kind!“ notierte er 1905 in sein Tagebuch (Paul Klee, Tagebücher 1898 – 1918, 1905, Nr. 713 / 14, S. 228). Mit großem Interesse betrachtete er die Zeichnungen seines 1907 geborenen Sohnes Felix und fand dort wichtige Impulse für seine künstlerische Arbeit. Seine eigenen Kinderzeichnungen stellte er an den Anfang seines Oeuvrekataloges und verlieh ihnen damit explizit den Status von Schlüsselwerken für sein gesamtes Schaffen. 1916 formulierte er: „Ich nehme einen entlegeneren, ursprünglichen Schöpfungspunkt ein, wo ich Formeln voraussetze für Mensch, Tier, Pflanze, Gestein und Erde, Feuer, Wasser, Luft und alle kreisenden Kräfte zugleich“ (Paul Klee, Tagebücher 1898-1918, 1916, Nr. 1008, S. 349). Klees Interesse für das naive, unbefangene Element wurde durch Künstlerkollegen und –freunde, vor allem Wassily Kandinsky, bestärkt und ist auch vor dem Hintergrund des kunstphilosophischen Diskurses der damaligen Avantgarde zu verstehen. Expressionistische, surrealistische und abstrakte Tendenzen jener Epoche setzten sich mit kreativen Formen primitiver Völker und kindlichen Darstellungsweisen auseinander und suchten die künstlerischen Ursprünge im Naiven.

Die Entstehung des Aquarells „Ausritt auf dem Oger“ fällt in eine Schaffensphase, in der Paul Klee viel Resonanz im In- und Ausland fand und wichtige Erfolge feiern konnte. Im Jänner und Februar 1924 wurde die erste Einzelausstellung Paul Klees in New York gezeigt. Im Frühjahr desselben Jahres gründete die Kunstvermittlerin Emmy Scheyer gemeinsam mit Lyonel Feininger, Alexej Jawlensky, Wassily Kandinsky und Paul Klee die Gruppe „Die Blaue Vier“, um das Werk dieser vier Maler in den USA bekannt zu machen. Im Herbst 1925 präsentierte die Pariser Galerie Vavin-Raspail die erste Personale Klees in Frankreich, wo unter anderem das im selben Jahr entstandene Aquarell "Ausritt auf dem Oger" zu sehen war. Zwei Werke des Künstlers wurden im November 1925 im Rahmen der ersten Gruppenausstellung der Surrealisten in Paris präsentiert. 1926 fanden wichtige Werke Klees erstmals Eingang in öffentliche Sammlungen Deutschlands. Für Klee bedeutete diese Zeit auch eine Phase großer Produktivität. Noch bis 1930 lehrte er am Bauhaus, wo es ihm gelang, sein Werk theoretisch zu fundieren und zu vertiefen.
(Claudia Mörth-Gasser, Auszug aus dem Beitrag "Ausritt auf dem Oger - eine fantastische Bildvision", Journal im Kinsky, Nr. 3, Dezember 2013)