Auktionshaus

Auktion: Evening Sale - Zeitgenössische Kunst

27. November 2023, 19:00 Uhr

0043

Maria Lassnig*

(Kappel am Krappfeld/Kärnten 1919 - 2014 Wien)

„Gefallenes Mädchen“
1962/63
Öl auf Leinwand; gerahmt
120 x 100 cm
Signiert und datiert rechts unten: M. Lassnig 1962-63
Rückseitig tachistische Studie, ca. 1959/60

Provenienz

direkt von der Künstlerin;
ehemals Sammlung Otto Breicha;
seither Privatbesitz, Wien

Ausstellung

2010 Kulturverein Greith-Haus, St. Ulrich im Greith

Literatur

Kulturverein Greith-Haus, Helena Wallner (Hg), Klassiker der Moderne, Von A wie Attersee bis Z wie Zeppel-Sperl. St. Ulrich im Greith 2010, S. 22.

Schätzpreis: € 250.000 - 500.000
Ergebnis: € 456.000 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

Mit 41 Jahren verlässt Maria Lassnig Ende November 1960 Wien und zieht ins „Zentrum des Kunstbraukessels“ (Maria Lassnig, in: Natalie Lettner, Maria Lassnig. Die Biografie, Wien 2017, S. 152), nach Paris. Sie führt künstlerische und private Gründe für diese Entscheidung an: „Damals haben die Aktionisten schon angefangen. Das ging mir auf die Nerven, dieses Männlichkeitsgetue. Ich war auch als Frau tief enttäuscht, weil ich dauernd betrogen worden bin. Es war ja ziemlich eng in Wien. Da waren vier Männer um die Galerie St. Stephan [Wolfgang Hollegha, Josef Mikl, Markus Prachenksy und Arnulf Rainer, mit dem Maria Lassnig auch eine kurze Affäre hatte] und ich hab da keinen Platz gehabt. Ich wollte einfach nicht mehr hier sein.“ (Maria Lassnig, in: Lettner, S. 151). Obwohl ihr als Mitglied des Art Clubs, mit Ausstellungen im Strohkoffer und, als einer der wenigen Frauen, auch mit einer Einzelausstellungen in der Galerie St. Stephan Anerkennung gezollt wurde, verlässt sie Österreich. Ein Muster, das sich später in Frankreich wiederholen wird, als sie gut vernetzt und nach ersten Ausstellungserfolgen 1968 ihre Zelte Richtung New York abbrechen wird.

Mit den ersten abstrakten Körpergefühlen und tachistischen Knödelselbstportraits der 1950er-Jahre öffnet Maria Lassnig „ein weites, unbekanntes Terrain, wie es nur wenige Künstler selbst zu Beginn der Moderne betreten haben“ (Wolfgang Drechsler, Einleitungstext in: Maria Lassnig, Ausstellungskatalog, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 20er Haus, Wien; Musée des Beaux-Arts de Nantes, Nantes 1999). Der Körper wird nicht von außen gesehen gemalt, sondern von innen gefühlt. Die Linie wird zum Ausdruck der eigenen physiologischen Befindlichkeit.

In den frühen 1960er-Jahren kehrt das Figurale zurück, es wird zum Ausdruck einer malerischen Introspektion. Hochkonzentriert mit einer meditativen Langsamkeit malt Maria Lassnig teils mit geschlossenen Augen neben der Leinwand liegend Körpergefühle. Auch mittels Farbigkeit werden Körperempfindungen zum Ausdruck gebracht. „Druckpunkte, Spannungen, Verdichtungen und Streckungen, alle nur möglichen ‚kleinen‘ Gefühle werden auf der Leinwand notiert“ (Maria Lassnig. Das neunte Jahrzehnt, Ausstellungskatalog, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien 2009, S. 31) und farblich konnotiert.

In vorliegendem Bild sehen wir einen augenlosen Kopf mit groß aufgeblasener Hirnpartie, der blicklos die Kommunikation mit dem Betrachter verweigert. Begleitet wird dieses überdimensionale Gebilde von einem blässlichen, rotumrandeten Körper mit angewinkelten Knien und hilflos rudernden Armen. Fest entschlossen wirkt nur die in dynamischem Rot wiedergegebene Kinnpartie, die an eine Tierschnauze erinnert. Derartige hybride Zwitterwesen und die artifizielle Farbgebung, in der Rot- und Lilatöne mit dynamischen gelbgrünen Bildgründen kontrastiert werden, sind typisch für das Werk Maria Lassnigs, das zum Bedeutendsten gehört, was die österreichische Gegenwartskunst auch im internationalen Vergleich hervorgebracht hat.

(Sophie Cieslar)