Auktionshaus

Auktion: Zeitgenössische Kunst

22. Juni 2023, 16:00 Uhr

5031

Günter Brus*

(Ardning 1938 - 2024)

„Tiefenhysterie“
1980
Mischtechnik auf Papier; gerahmt
86 x 61 cm (Blattmaß)
Bezeichnet und signiert unten mittig: Tiefenhysterie G Brus

Provenienz

österreichischer Privatbesitz

Literatur

Museum Moderner Kunst Wien (Hg.), Günter Brus. Der Überblick, Ausstellungskatalog, Salzburg/Wien 1986, S. 75, Abb. 44.

Schätzpreis: € 35.000 - 70.000
Ergebnis: € 46.200 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

1980/1981 werden in einer großen Wanderausstellung mit dem Titel „Bild-Dichtungen“ erstmals einer großen Öffentlichkeit Einzelblätter und serielle Text-Bild-Arbeiten von Günter Brus präsentiert. Den Auftakt bildet die renommierte Whitechapel Gallery in London, gefolgt von der Hamburger Kunsthalle, dem Kunstmuseum Luzern und im Rahmen des Steirischen Herbst dem Kulturhaus der Stadt Graz. Diese Werkschau macht den Künstler, der bis dahin lediglich als Aktionist wahrgenommen worden war, auch als Bild-Dichter bekannt und markiert den Beginn seiner internationalen Ausstellungstätigkeit. Es folgen Biennalebeteiligungen in Venedig und Sydney und die Teilnahme an der documenta 7 in Kassel.

Genau in diese Zeit fällt die Entstehung von „Tiefenhysterie“. Als erstes springt uns der Wortwitz an. Tiefenhysterie statt Tiefenentspannung. So witzig ist das aber eigentlich gar nicht. Tiefenentspannt ist man, wenn Körper und Geist komplett zur Ruhe gekommen sind, tiefenhysterisch wohl, wenn einem die Situation entgleitet, wenn alles aus dem Ruder läuft und man komplett ausrastet. Wie kommen dem Künstler solche Wortfindungen in den Sinn: „Eine Passage im Radioprogramm, gleichgültig ob Meldung oder Musikstück, Wörter eines Gesprächs, die Schlagzeile einer auf dem Tisch liegenden Zeitung können unvermutet Anregungen ungeahnten Außmaßes sein, als ob ein in das Wasser geworfener Stein ein Erdbeben oder einen unterirdischen Vulkanausbruch erzeugt.“ (Gerhard Roth, Im Dschungel der Innenbilder, in: Günter Brus. Werkumkreisung. Ausstellungskatalog, Albertina, Wien 2003, S. 165) Das Texthafte trifft auf das Bildhafte, das nicht bloße Illustration ist, sondern Bild und Text ergänzen, bedingen einander. Der Leser und Betrachter gerät in ein Spannungsfeld zwischen Wort und Bild.

Ein blockhafter Körper steht schockstarr vor uns, umgeben von einem rosa-pastelligen Hintergrund, der mit roten Einschlüssen wie ein mikroskopisches Blutbild anmutet. Die Gestalt ist geschlechts- und gesichtslos. In Ihrem Inneren lodert es, wir sehen eine Flamme entlang einer Zündschnur nach oben wandern, gleich folgt die Detonation. Unterirdisch haben sich aber vielleicht schon Flammen ausgebreitet, gelb lodert es aus dem Gesicht, dort wo wir Mund, Nase und Augen vermuten. Das Existentielle im Werk Günter Brus‘ lässt uns nicht kalt, denn er stellt Fragen über das Leben an sich, nach dem Sinn unseres Daseins. Dabei spart er nicht mit Kritik an unserer Gesellschaft und liefert in schöner Schreibschrift voll Ironie eine bitterböse Analyse des Zustands der Menschheit.

(Sophie Cieslar)