4014
Albin Egger-Lienz
(Stribach bei Lienz 1868 - 1926 St. Justina bei Bozen)
„Die Quelle“
um 1924
Öl auf Karton; gerahmt
56 x 81,5 cm
Signaturstempel links unten: Egger-Lienz
Originalrahmen
Provenienz
Galerie L. T. Neumann, Wien;
österreichischer Privatbesitz;
Auktionshaus im Kinsky, 07.06.2016, Nr. 268;
österreichischer Privatbesitz
Literatur
Wilfried Kirschl, Albin Egger Lienz. Das Gesamtwerk, Christian Brandstätter Verlag, Wien 1996, WV-Nr. M 596, S. 569 (o. Abb.)
Schätzpreis: € 150.000 - 300.000
Auktion ist beendet.
"Die knappste und eindrucksvollste Form lässt sich nicht das erste Mal erreichen, und auf diese kommt es mir an. Ich sehe, wie man nur durch den innigsten Zusammenhang mit dem Leben selbst das Universum erreichen kann. Nicht in zeitlosen Kostümen liegt das Zeitlose, sondern in der Tiefe der Empfindung des Alltags, des Jetzt, an Hand der Vorgänge unseres eigenen Lebens." (Egger-Lienz in einem Brief an Otto Kunz, 19.12.1913)
Zum Bildsujet "Die Quelle" hat Egger-Lienz in den Jahren 1923 und 1924 vierzehn ähnliche Versionen geschaffen. Die erste auf Leinwand gemalte Fassung, die sich heute im Leopold Museum in Wien befindet, entstand im Sommer 1923 in Sarnthein in Südtirol. In einer Bildvariante liegt neben dem trinkenden Hirten sein Stab. Das vorliegende Gemälde ist eine Wiederholung der Erstfassung des Bildthemas, bei der Egger-Lienz auf das narrative Beiwerk des Hirtenstabs verzichtet. Die mehrfache Beschäftigung mit einer Bildschöpfung über Jahre hinweg ist kennzeichnend für das Oeuvre des Tiroler Malers.
Zur "Quelle" notiert Egger-Lienz: "Die Quelle: Was ich hier male, ist im wahren Sinn wieder ein 'Raum'. (…) ein Wasser trinkender Hirtenknabe. Da verwächst der Mensch total mit der Erde. Es könnte ein Schaf oder Rind sein, welches in heiser Sonnengluth (sic) zum Wasser strebt." (Kirschl, S. 404). Für den Maler, der das Bedeutungsvolle im einfachen, schlichten Leben sucht, zählt nicht das Episodenhafte der dargestellten Szene. Aller erzählerischen Details beraubt, wird die isolierte Gestalt des trinkenden Knaben vielmehr zum Symbol. Der junge Hirte, der am Boden hingestreckt seinen Durst an einer Wasserquelle stillt, wird zum aussdrucksstarken Sinnbild für den tiefen Zusammenhang des Lebens, für das "Verwachsen-Sein", die ursprüngliche Verbundenheit des Menschen mit der Erde.
In charakteristischer Weise ist die Farbpalette reduziert und von wenigen Brauntönen bestimmt, nur das kräftige Türkis der Hose, das Weiß des Hemdes und die helle Farbe des Inkarnats durchbrechen die Monochromie des Gemäldes. Wie auch bei anderen Versionen der "Quelle" beeindrucken der freie Umgang mit der Malerei, der spontane, dynamisch wirkende Farbauftrag und die skizzenhafte Manier. Im Vergleich zur ersten Fassung ist das Kolorit dunkler geworden, das Blau des Himmels ist einem neutralen dunkelbraunen Bildraum gewichen. Nur die horizontale, leicht geschwungene Linie im oberen Bilddrittel deutet noch die Trennung von Himmel und Erde an. Im nicht näher definierten, abstrakten Bildraum spielen die Schatten eine wichtige Rolle als raumschaffendes Element in der Bildkomposition.
Das künstlerische Schaffen von Albin Egger-Lienz kreist um grundlegende Fragen der menschlichen Existenz, die enge Verbundenheit von Mensch und Natur, um Krieg und Leid, Leben und Tod. In der österreichischen Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts nimmt er die Position eines Einzelgängers ein, der dennoch durch Ausstellungsbeteiligungen auch mitten im Kunstbetrieb steht Mit den modernen Kunstströmungen setzt er sich kritisch distanziert auseinander, während er seine wesentlichen künstlerischen Impulse von der Landschaft und den Menschen seiner Tiroler Heimat empfängt. Zu vielen wichtigen Bildschöpfungen findet er im Ötztal, wo er über Jahre hinweg die Sommermonate verbringt. Die Modelle für seine Bildtypen sucht er bei den einfachen Bauern der Region.
(Claudia Mörth-Gasser)