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Karl Prantl*
(Pöttsching 1923 - 2010 Pöttsching)
„Stein zur Meditation“
2001-2007
Roter russischer Granit
H. 60 cm x B. 23 cm x T. 210 cm
Provenienz
österreichischer Privatbesitz
Diese Skulptur hat die Werkkatalog Nr. 1152.
Schätzpreis: € 180.000 - 320.000
Meistbot: € 130.000
Auktion ist beendet.
Karl Prantl: Die Seele des Steins
Rückgrat. Wirbelknochen im rot geäderten Granitblock. Licht und Schatten. Hart und weich. Rund und eckig. Perlen einer Gebetschnur, wie Tränen auf der Via Dolorosa namens Leben. Rosenkranzbeten am Meditationsstein. Fünf Jahre lang, von 2002 bis 2007, hielt Karl Prantl immer und immer wieder Zwiesprache mit dem Granitstein, umschritt ihn, schaute, meißelte, polierte, streichelte, legte die Seele des Steins frei. "Ich sehe", sagte er, "immer die Wesenhaftigkeit des Steins. Während du den Stein behaust, entdeckst du den Geist deines Materials und seine besondere Eigenschaft. Deine Hand denkt und folgt den Gedanken des Materials."
Drüberstreichen. Mit den Händen die Strukturen sehen. Die Unebenheiten und Übergänge spüren vom glatten Schliff zum rohen Stein: Gern führte Karl Prantl die Besucher im wahrsten Sinn des Wortes an der Hand, lehrte sie das Begreifen seiner Kunst, das Erspüren des Materials, das Ahnen der Ewigkeit. Jeder Stein, sagte er, habe eine eigene Sprache, "älter als jede Menschensprache, die muss man lernen zu verstehen."
Im burgenländischen Pöttsching, dem Ort seiner Kindheit und seines Schaffens, haben viele seiner Steine Wurzeln geschlagen, sind im Laufe der Jahre mit der Landschaft verwachsen, sind Natur und Kunst wieder eins geworden. Wie überlebensgroße Wächter stellte Prantl die Skulpturen in die Wiesen hinter dem Atelier, legte sie in Ackerfurchen, pflanzte sie unter Bäume. Bis zuletzt ging der große österreichische Bildhauer, wenn es seine Gesundheit nur zuließ, hinaus zu seinen Steinen, berührte sanft ihre Oberflächen. Den letzten großen Stein ließ er nur zehn Tage vor seinem Tod im Oktober 2010 aufstellen. "Durch das lange Dransein zeigt sich der Stein letztlich in seiner ganzen Schönheit" , sagte er damals und zitierte einen Satz von Joseph Brodsky: "Ob ihr's glaubt oder nicht, die Evolution hat ein Ziel: Schönheit."
Prantl, der 1986 Österreich auf der Venedig-Biennale vertrat und 2008 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet wurde, arbeitete ohne Skizzen oder Modell, wichtig war ihm die spirituelle, die sinnliche und emotionale Bindung zum Stein. Seine reduzierte Formensprache machte ihn zu einem der wichtigsten Künstler im Nachkriegseuropa. Meist ließ er den Umriss des jeweiligen Steines unverändert, polierte die Oberfläche, legte Maserungen frei, fräste Einschnitte, formte Vertiefungen, Kugeln, Löcher, buchstäblich Anhaltspunkte für Augen und Hände.
1959 initiierte er das Internationale Bildhauersymposium St. Margarethen, vor allem für Künstler aus dem damaligen Ostblock wurde Margarethen zum Synonym für künstlerische Freiheit, die Kollegen gründeten ihrerseits Bildhauersymposien rund um den Globus. Nur in St. Margarethen gibt es längst keine Bildhauersymposien mehr.
Einige der Steine hatte er noch zu Lebzeiten und auf eigene Kosten aus dem Steinbruch abtransportieren und auf Feldwegen und Ackerrainen in Pöttsching wieder aufstellen lassen: Land-Art, Kunst im öffentlichen Raum, die ihresgleichen nicht nur in Österreich sucht. Seine eigenen Meditationssteine stehen in Kirchen, auf öffentlichen Plätzen, sind steinerne Zeugen unmenschlicher Qualen, wie etwa sein sechs Meter hohe Granit in Mauthausen; oder die 14 Steinplatten des Nürnberger Kreuzwegs: "Auch Steine leben. Sie sind Gebeine der Mutter Erde. Missbrauch von Steinen ist wie Missbrauch am Menschen. Die vierzehn Steinplatten stammen von der großen Straße des nationalsozialistischen Reichsparteitagsgeländes. Sie wurden Stück für Stück von Zwangsarbeitern und Gefangenen in Konzentrationslagern bearbeitet. Jeder Stein ist Fingerabdruck eines missbrauchten und geschundenen Menschen." Und neben dem Pöttschinger Friedhof befindet sich auf Initiative Prantls eine Gedächtnisstätte für zivile Opfer politischer Gewaltherrschaften zwischen 1934 und 1945.
Die Liebe zur Bildhauerei wurde dem Sohn eines burgenländischen Gemeindesekretärs der k. u. k. Monarchie übrigens nicht in die Wiege gelegt; schon eher, dem Großvater sei Dank, die Liebe zur Natur: „Wenn man als Kind den Mähleuten Wasser aufs Feld gebracht hat; oder wenn man über einen Pferdeschädel so drübergleitet mit der Hand: Das ist ein unglaubliches Erlebnis. Dieses bäuerliche Leben mit und in der Natur hat mich immer bewegt. Ich bin froh, dass ich das auf eine andere Weise mit meinen Steinen leben kann."
Zwar hatte Prantl zunächst von 1946 bis 1952 Malerei bei Albert Paris Gütersloh studiert. Doch bald arbeitete er lieber doch nicht mit Farbe und Leinwand, sondern mit Hammer und Meißel. Nicht in Wien, sondern in seinem Heimatort Pöttsching. Nicht im Atelier, sondern unter freiem Himmel. Seine Steinbildhauerei ist körperliche Schwerarbeit, aber kein Kraftakt. Kein Kräftemessen mit dem Stein, eher ein Hingeben zum Annehmen: Prantl ließ dem Stein das Eigenleben, legte nur vorsichtig frei, was längst vorhanden ist: „Ich gebe einen Impuls weiter, den ich durch minimale Äußerungen empfange." (Andrea Schurian)