Auktionshaus

Auktion: Klassische Moderne

12. Mai 2015, 17:00 Uhr

0036

Erich Heckel

(Döbeln 1883 - 1970 Radolfzell)

„Fränzi liegend“
1910
Farbholzschnitt auf Papier
45,7/45,4 × 61/60,3 cm (Blattgröße); 23/20,4 × 40,8/41,8 cm (Bildgröße)
Signiert und datiert rechts unten: Heckel 10
Im Werk-Inventar, Nachlass Erich Heckel, sind 28
Abzüge registriert (3 schwarz-weisse, 5 schwarz-blaue und 20 schwarz-rote).

Provenienz

in den 1960er Jahren direkt vom Künstler erworben; seither in österreichischem Privatbesitz

Literatur

Annemarie und Wolf-Dieter Dube, Erich Heckel. Das graphische Werk, Band I Holzschnitte, Hamburg 1974, 2. Auflage, S. 20, Nr. 188 b 2 II; Serge Sabarsky, Graphik des deutschen Expressionismus, Ausstellungskatalog Angermuseum Erfurt / Staatliches Lindenau-Museum / Kunsthalle Rostock, 1991, vgl. Kat.-Nr. 74, Abb. S. 111; Magdalena Moeller, Brücke. Die Geburt des deutschen Expressionismus, Ausstellungskatalog Brücke Museum Berlin in der Berlinischen Galerie, Berlin 2006, vgl. Nr. 70, Abb. S. 182; German Expressionism. The graphic impulse, Ausstellungskatalog Museum of Modern Art, New York 2011, vgl. Nr. 60, Abb. S. 107

Wir danken Hans Geissler und Renate Ebner, Nachlass Erich Heckel, für die freundliche Unterstützung. Der vorliegende Abzug wird in das dortige Werk-Archiv aufgenommen.
Das Werkverzeichnis (Dube 1974) nennt für diesen Holzschnitt zwei Zustände, wobei der vorliegende Abzug dem späteren Zustand zuzuordnen ist.

Schätzpreis: € 150.000 - 300.000
Ergebnis: € 320.000 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

Die Gründung der Künstlergemeinschaft „Die Brücke“ im Juni 1905 in Dresden von vier ehemaligen Architekturstudenten – Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl – markiert den Beginn des deutschen Expressionismus. Bis zur Auflösung der Gruppe 1913 entwickelten diese Maler eine radikal neue Formensprache, bei der das Ausdrucksmoment und nicht die naturalistische Wiedergabe im Vordergrund stand. Bei ihrer Suche nach neuen formalen und inhaltlichen Werten setzten sich die Brücke-Maler intensiv mit Druckgraphiken auseinander, insbesondere dem Holzschnitt und leisteten damit einen der bedeutendsten Beiträge zur Kunstgeschichte an der Wende zur Moderne. Entscheidend waren die Loslösung vom Primat des Originals und die Auseinandersetzung mit der Technik und dem Material selbst. Der Bezug zum ursprünglichen Druckverfahren des 16. Jahrhunderts war damit klar gegeben. Die Beschaffenheit des Holzes, seine Härte und Widerstände bestimmten in Folge die Formgebung im Arbeitsprozess, sowie der Druckvorgang selbst zu einem immer wechselnden, nie monotonen künstlerischen Akt wurde. Keine Graphik –mit Ausnahme von Plakaten – weist eine hohe Auflage auf, öfters wird auch mit verschiedenen Farben für ein Thema experimentiert. Die Blätter besitzen daher in der kunstgeschichtlichen Forschung „Unikat-Charakter […], die das kollektive Bildbewusstsein maßgeblich geprägt haben“. (Günther Gercken, Katalog Berlin 2005, S. 58)

Als Höhepunkte des „Brücke“-Stils werden die Graphiken von 1910 und 1911 angesehen, sie wurden zu Inkunabeln des deutschen Expressionismus, in denen Einflüsse von Jugendstil bis zur außereuropäischen Kunst verschmolzen.

„Fränzi liegend“
Zu diesen Blättern zählt als eines der prominentesten Beispiele der Holzschnitt „Fränzi liegend“ von Erich Heckel aus dem Jahr 1910. Es ist im Werkverzeichnis mit einer Auflage von 28 Blatt vermerkt und in drei verschiedenen Farbkombinationen bekannt: schwarz/weiß, blau/schwarz und rot/schwarz. Allein dadurch entstehen markante Unterschiede, denn das Blau vermittelt eine kühlere Note, das Rot hingegen große Tiefe und Emotionalität. Die bekannten Blätter (Exemplare befinden sich u.a. im Franz Marc Museum, Kochel am See, in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe und im Museum Folkwang Essen) weisen aber auch bei Beibehaltung der äußeren Form strukturelle Differenzen auf, die den bereits erwähnten Unikatcharakter betonen. Zunächst variieren die Blattgrößen – das vorliegende ist auf dem größten bekannten Format gedruckt – und die Farbwerte. Unterschiedlich dicht hat der Künstler den Druckstock mit Farbe getränkt und das Blatt auf die Vorlage gepresst. Das Rot verändert sich also in Ausdruck und Homogenität des Auftrags, genauso wie die Binnenzeichnung des Aktes. Das Muster der angedeuteten körperlichen Merkmale, wie die Scham oder die Brust, erscheint in unterschiedlich starker Ausprägung. Das hier angebotene Blatt zeichnet sich durch einen besonders schönen Gleichklang der Farbe und ein dichtes, lebendiges Netz an Körperlinien aus. Der Künstler scheint also mit besonderem Bedacht, die Presse geführt zu haben.

Provenienz
Vielleicht hat Erich Heckel das Blatt wegen dieser besonderen Qualität bis kurz vor seinem Tod 1970 in seiner Sammlung behalten. Es war sicher auch eine wertvolle Erinnerung, nachdem 1944 ein Bombentreffer sein Berliner Atelier mit zahlreichen Werken und sämtlichen Druckstöcken zerstört hatte. Ganz abgesehen von dem Verlust von 746 Werken in öffentlichem Besitz im Zuge der „entarteten Kunst“- Kampagne durch die Nationalsozialisten 1937. Ende der 60er Jahre aber konnte er die Bitte einer jungen ambitionierten Sammlerin aus Österreich um eine Arbeit aus seiner Brücke-Zeit nicht abschlagen und verkaufte ihr dieses Exemplar der liegenden Fränzi. Die glückliche Dame reiste eigens dafür nach Radolfszell an den Bodensee, dem letzten Wohnort des Malers. In ihrer Sammlung mit dem Schwerpunkt auf die Malerei des Expressionismus in Österreich und Deutschland nahm es für ein halbes Jahrhundert einen hervorragenden Platz ein.

Technik und Stil
Das Bild des liegenden Mädchenaktes mit dem Namen „Fränzi“ ist zweifellos eines der Werke, in denen die Ideen und der Stil des deutschen Expressionismus par excellence verwirklicht sind. Und das gerade weil es ein Holzschnitt ist. In dieser Technik, die Detailreichtum und Feinzeichnung wenig erlaubt, konnte eine knappe, „barbarisch-aggressive“ (Buchheim 1957, S. 14) Ausdrucksform erzielt werden, die dem Streben nach einer eigenständigen Kunstsprache entgegen kam. Außerdem förderte das harte Material mit seinen faserigen Ausläufern die eigenständige Ausdrucksweise der Künstler und beeinflusste entscheidend ihren malerischen Stil. Erich Heckel, der auch die treibende Kraft der Bewegung war, arbeitete immer ohne Vorzeichnung direkt in den Holzblock hinein. In den Jahren um 1909/1910 umrahmte er die bis aufs äußerste reduzierte Form mit dicken, schwarzen Umrisslinien und füllte die großen Flächen mit kräftigen Farben aus oder beließ sie in Weiß. Auch das Bild der liegenden Fränzi wird durch die Komposition von festgefügten, farbigen Flächen bestimmt, die das Motiv des hellen Körpers vor dunklem Hintergrund ordnen. Keine Bedeutung haben mehr anatomische und perspektivische Überlegungen, bezeichnend sind hingegen Proportionsverschiebungen zugunsten einer allgemein verständlichen Aussagekraft. Spannungsmomente ergeben sich durch den Kontrast der weichen, kurvigen Linie um die betonte Hüfte des schlanken Mädchens und den kantigen Formen der Schulter sowie des angewinkelten rechten Armes. Das schwarze Haar fällt frei und anmutig über den Arm, die Gesichtszüge sind maskenartig betont, während ansonsten nur dünne Linien den Körper markieren. In dieser leicht aufrechten Art, die Beine lässig überkreuzt, blickt sie den Betrachter offen und geheimnisvoll an.

Das Modell „Fränzi“
Die jüngere Forschung (Gerd Presler, in: Katalog Hannover 2011) hat sich auch mit dem Modell selbst beschäftigt und seine Identität zum Vorschein gebracht. So konnte geklärt werden, dass „Fränzi“ als Lina Franziska Fehrmann am 11. Oktober 1900 in Dresden als Tochter eines Heizers und Maschinisten geboren wurde. Sie war eines von zwölf Kindern und wohnte ganz in der Nähe der Ateliers von Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel im Stadtteil Friedenau in Dresden. Später soll sie zweimal verheiratet gewesen sein, hatte eine Tochter und verstarb kurz nach dem Krieg 1950. Ihre Familie hatte damals wenig Bedenken, das Mädchen viele Nachmittage allein in den Künstlerateliers zu belassen, denn jedes zusätzliche Einkommen war erwünscht. Wie Fränzi aber noch Jahre später dem Maler Kirchner versicherte, sei diese Zeit in den Ateliers die schönste ihrer Kindheit gewesen. (Katalog Hannover 2011, S. 35) Heckel wiederum beschreibt in seinen Erinnerungen die Begegnung mit dem Mädchen „als spezielles Ereignis aus dem Jahr 1909“ (Katalog Hannover 2011, S. 19). Fränzi war also noch nicht neun Jahre alt gewesen als sie das erste Mal in die Ateliers von Kirchner und Heckel kam und das Jüngste ihrer Mädchen-Modelle wurde. Sie hatte ein feines, leicht nach unten zulaufendes Gesicht, mandelförmige Augen und vor allem ein überaus unbekümmertes, lebendiges Wesen, das die Maler faszinierte und in unterschiedlicher Weise zu inspirieren vermochte.

Der kindliche Akt
Die Darstellung eines kindlichen Aktes, der sich ungezwungen darbietet, war in mehrerer Hinsicht ein Tabubruch. Das Kind in Gestalt einer Frau war eine Provokation. Heckel und die Brücke-Maler hingegen faszinierte – im Übrigen parallel zu den zeitgleichen Forschungen der Psychoanalyse – das Stadium der Verwandlung vom Kind zum Erwachsenen mit ihren entscheidenden körperlichen Merkmalen. Fränzi wurde von ihren Modellen zum Prototypen des präpubertären Mädchens, des Kindes, das noch nicht die Verwandlung ahnt, in dem die Frau aber schon „schlummert“ und seine Nacktheit ohne Scham, in den Worten der Künstler „unmittelbar, unverfälscht“ zur Schau stellt. Nicht zu verleugnen ist dennoch eine gewisse Erotik des Bildes, die gerade durch die eigentliche Unschuld des Kindes an Brisanz gewinnt. Für dieses „psychologische Spannungsmoment“ fand Erich Heckel eine gänzlich neue, überzeugende künstlerische Form. (MHH)

Literatur:
Lothar Günther Buchheim, Erich Heckel. Holzschnitte aus den Jahren 1905-1956, Feldafing 1957
Brücke. Die Geburt des deutschen Expressionismus, Katalog der Ausstellung, Brücke-Museum Berlin, 1. Oktober 2005 – 15. Januar 2006
Norbert Nobis (Hg.), Der Blick auf Fränzi und Marcella. Zwei Modelle der Brücke-Künstler Heckel, Kirchner und Pechstein, Katalog der Ausstellung, Sprengel Museum Hannover 2011