Auktionshaus

Auktion: Klassische Moderne

12. Mai 2015, 17:00 Uhr

0019

Oskar Kokoschka*

(Pöchlarn 1886 - 1980 Montreux)

„Weib über Schemen gebeugt (recto und verso) Zeichnung zur gleichnamigen Lithografie aus der 12-teiligen Folge "Der gefesselte Kolumbus"“
1913
Fettkreide und Bleistift auf Umdruckpapier
29,8 × 43,2 cm
Monogrammiert rechts unten: OK
Eigenhändig bezeichnet und signiert links unten (wohl nachträglich in den 1950er Jahren): Originalzeichnung / zur Bachkantate / O Kokoschka
Verso Skizze: "Weib über Schemen gebeugt"

Provenienz

Sammlung Moses und Ida Soyer; Montclair Art Museum, New Jersey (1974 Schenkung an das Museum); Christie's, New York, Interior Sale 2677, 05. - 06. Feb. 2013, Los 4 (Titel dort: "Bach Cantata"); deutscher Privatbesitz

Ausstellung

1971 Montclair, New Jersey, Montclair Art Museum (The Moses and Ida Soyer Collection, 17. Sept. - 17. Okt., o. Kat., Titel dort: "Bach Cantata"); 1991 Jersey City, The Jersey City Museum (Selections from the Moses and Ida Soyer Collection, 20. Feb.- 23. Mai)

Literatur

Alfred Weidinger, Alice Strobl, Oskar Kokoschka. Die Zeichnungen und Aquarelle 1897-1916, Salzburg 2008, vergleiche WV-Nr. 545, Abb. S. 366

Die Zeichnung wird von Alfred Weidinger in den in Vorbereitung befindlichen Ergänzungsband des Oskar Kokoschka Werkverzeichnisses aufgenommen.

Schätzpreis: € 80.000 - 160.000
Ergebnis: € 107.920 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

Das vorliegende, beidseitig ausgeführte Werk von Oskar Kokoschka wurde 2013 bei Christie's, New York, als "Studie zur Bachkantate" versteigert. Im Auktionskatalog abgebildet und genannt war nur die (Verso-)Seite mit der skizzenhaften Pietà-Darstellung. Erst beim Ausrahmen des Blattes entdeckte der neue Eigentümer die detailliert ausgeführte Vorzeichnung zum Blatt "Weib über Schemen gebeugt" aus Kokoschkas Lithografiefolge "Der gefesselte Kolumbus".
Das Blatt zeigt Oskar Kokoschka mit seiner damaligen Geliebten Alma Mahler in einer Pietà-Form verschränkt. Bei der bisher bekannten, auf Transparentpapier ausgeführten und etwas weniger detailreichen Umdruckzeichnung "Weib über Schemen gebeugt" (Weidinger / Strobl, WV-Nr. 545) handelt es sich um eine Pause nach dem vorliegenden Blatt.

Oskar Kokoschka – Der gefesselte Columbus
Zur Entdeckung einer faszinierenden Zeichnung

Schon bald nach der Herausgabe des 1908 von der Wiener Werkstätte in Auftrag gegebenen Märchenbuchs Die träumenden Knaben versuchte Kokoschka, für eine geplante Fortsetzung einen Verleger zu finden. Vorerst bezeichnete er die in Erwägung gezogene und 1908 niedergeschriebene Erzählung Fortsetzung der träumenden Knaben und nannte sie später Der weiße Tiertöter. Erste farbige Illustrationen dazu zeigte Kokoschka in der Internationalen Kunstschau 1909 in Wien. In der Folge offerierte er seine Niederschrift im Anzeigenteil der von Karl Kraus herausgegebenen satirischen Zeitschrift Die Fackel, allerdings ohne Erfolg. Wie aus einem Brief vom 25. November 1912 hervorgeht, bat Kokoschka Fritz Gurlitt um die Herausgabe eines Buches, bei dem es sich offensichtlich um die genannte Erzählung handelt. Vorliegenden Dokumenten zufolge zeigte sich der Berliner Verleger und Kunsthändler grundsätzlich bereit, das Werk in Buchform zu veröffentlichen. Kokoschka hatte den Titel der Erzählung allerdings nochmals umbenannt. Sie hieß nun Der gefesselte Columbus. Es ist davon auszugehen, dass Aischylos´ Tragödie Der gefesselte Prometheus dafür den Anstoß gegeben hat. Dem Künstler gefiel der Widerstand des antiken Visionärs und sein trotziger Kampf gegen ungerechte Gewaltherrschaft, er wechselte aber den in skythischen Ketten an einen Felsen gelegten Prometheus gegen den Amerika-Entdecker Christoph Kolumbus aus. Hinter diese Entscheidung stehen kein großes Konzept und keine tiefgründige Überlegung, sondern alleine der Zufall – Kokoschka hatte im Sommer 1912 mit Alma Mahler in München einen Kolumbus-Film (1) gesehen – und er hegte eine gewisse Sympathie für das Schicksal des berühmten Seefahrers, der sich für seine Entdeckungen vom König und dem spanischen Adel nicht ausreichend geehrt und sich um seinen Ruhm betrogen fühlte. Kokoschka sah sich damals durchaus in einer ähnlichen Lage, sowohl im Vergleich mit Kolumbus als auch im Vergleich mit Prometheus.

Von Alma Mahler sollte das Buch handeln, schrieb Kokoschka im eingangs zitierten Brief vom November 1912. Er hatte die bekannte Witwe Gustav Mahlers und Tochter des Landschaftsmalers Emil Jakob Schindler am 12. April 1912 im Haus von Carl Moll auf der Hohen Warte kennen gelernt. Die sich prompt einstellende leidenschaftliche Affäre währte über einen Zeitraum von etwas mehr als zwei Jahren und bildete das inhaltliche Fundament für nahezu sämtliche Kunstwerke, die in diesem Zeitraum entstanden. Für seine Erzählung Der gefesselte Columbus schuf Kokoschka – von einzelnen Entwurfsvariationen abgesehen – insgesamt zwölf Illustrationen. Die Entstehungszeit der Fettkreidezeichnungen ist bald nach seiner Italienreise 1913 anzusetzen. Der Künstler erstattete zu diesem Zeitpunkt Alma Bericht vom Fortschreiten des Projektes: „In dem Buch habe ich jetzt zwölf Zeichnungen fertig, aber nicht gepaust. Vom Text habe ich noch nichts gemacht. Dazu war ich nicht elastisch genug.“(2) Abschließend führte Kokoschka noch an, dass er ihr den Text gerne senden wollte und Alma anstreichen sollte, was für die Veröffentlichung zu verwenden sei. Kokoschka griff letztlich nur geringfügig in den Text ein, ergänzte ihn vor allem um einige irrationale persönliche Bezüge, die als Reaktion auf Erlebnisse mit Alma Mahler rückzuführen sind. Obwohl Kokoschka gegenüber Alma beteuerte, keine Pausen gemacht zu haben, ließ sich dennoch bei Überprüfung aller bisher bekannten Zeichnungen feststellen, dass er einzelne Darstellungen zumindest schematisch im Pausverfahren kopierte, um sie danach individuell zu überarbeiten. Das Datum des Abklatsches der Umdruckzeichnungen auf die Steinplatten geht aus einem Schreiben an den Verleger und Galeristen Herwarth Walden vom 30. Juni 1914 hervor: „Ich war 3 Tage in Berlin, habe Sie im Café benachrichtigen lassen, arbeitete von Morgen bis Nachts in der Druckerei, um die Steine zu korrigieren, und habe mir kaum Zeit zum Essen genommen. Die Mappe ist Ihnen ja seit 1912 bekannt, in welchem Jahr ich zu arbeiten begann im Auftrag Gurlitts, der mir das Honorar ein Jahr vorausbezahlte.“(3) Die von Kokoschka angesprochene zeitaufwendige Korrektur der Steine zeugt von einem mühevollen Arbeitsprozess, dem sich der Künstler ausgesetzt sah. Die Darstellung auf der Rückseite des Blattes mit der gegenständlichen Zeichnung veranschaulicht sehr wahrscheinlich das erste schematische Festhalten der Idee. Auf die Vorderseite zeichnete Kokoschka dann das expressivste aller Szenenbilder, das vor allem durch die brennende Kerze im Hintergrund einen besonders dramatischen Effekt beinhaltet und auf ein nahezu gespenstisches Erlebnis in Mürren verweist.(5) Möglicherweise wurde die Zeichnung abgeklatscht, aber nur wenige Bereiche auf dem Stein belassen. Nachgewiesen ist nun jedenfalls, dass der Künstler diese Fettkreidezeichnung auf ein transparentes Papier (Weidinger/Strobl 545) kopierte. Diese Illustration dürfte ebenfalls auf den Stein übertragen worden sein. Wie Kokoschka in seinem Brief an Walden anmerkt, hat er schließlich auch unmittelbar auf dem Stein eingegriffen und die Zeichnung für den Druck vollendet (Winkler/Welz 52). Tatsächlich verlegt wurde die als Mappenwerk und als Buchausgabe erschienene illustrierte Erzählung allerdings erst 1916.

Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei diesem Skriptum um eine 1908 geschriebene Erzählung, die der Autor unwesentlich veränderte. Der angekündigte Bezug auf Alma Mahler kann daher nur in den zwölf Illustrationen nachvollzogen werden, deren erste – als Frontispiz dem Titel gegenüber gestellt – ihr Porträt (siehe Vergleichsabb. 1) wiedergibt. Kokoschka hat davon nicht weniger als zwei weitere Varianten gezeichnet. Stilistisch sind die Szenenbilder im Umfeld des Gemäldes Tristan und Isolde (Die Windsbraut) von 1913 (siehe Vergleichsabb. 2) anzusiedeln. Inhaltlich visualisieren sie einen Bogen der gemeinsamen Erlebnisse, der mit der Auferweckung Kokoschkas durch Alma Mahler beginnt und mit seinem Tod endet, während ihn seine Geliebte überlebt. Die angesprochenen Erlebnisse handeln etwa von eindrucksvollen Phänomenen in einem Hotelzimmer in Mürren, vor allem aber von Kokoschkas Empfindungen nach der Abtreibung seines mit Alma Mahler gezeugten Kindes.(5) Letzteres wird auch in der gegenständlichen Zeichnung thematisiert. Für den höchst empfindsamen und verletzlichen Kokoschka kam die Abtreibung seines Kindes seiner eigenen, grausamen Tötung gleich. Alma Mahler beugt sich scheinbar reumütig über den entseelten Körper des Künstlers. Nicht zu Unrecht denkt man angesichts dieser Szene an die von Heinrich von Kleist 1808 beschriebene Tötung Achills durch Penthesilea. In tierischer Wildheit schlachtete sie geradezu den von ihr geliebten Heros der Griechen und wurde sich erst geraume Zeit später bewusst, was sie mit dieser Bluttat erreicht hatte.

Alfred Weidinger

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(1) The Coming of Columbus, 1912

(2) Oskar Kokoschka, Brief an Alma Maria Mahler. Wien, April 1913. Zitiert nach Weidinger 1996, S. 40.

(3) Oskar Kokoschka. Brief an Herwarth Walden. Wien, 30. Juni 1914, Sturm-Archiv der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin.

(4) Alfred Weidinger, Alice Strobl, Oskar Kokoschka. Die Zeichnungen und Aquarelle, 1897-1916, Salzburg 2008, Kat. 534, S. 361f.

(5) Siehe dazu Alfred Weidinger, Kokoschka und Alma Mahler. Dokumente einer leidenschaftlichen Begegnung, München 1996, S. 39-45.