Auktionshaus

Auktion: Zeitgenössische Kunst

12. Mai 2015, 17:30 Uhr

0057

Karl Prantl*

(Pöttsching 1923 - 2010 Pöttsching)

„Stein“
2010
Indischer Granit
10 × 50 × 307 cm

Provenienz

österreichische Privatsammlung

Ausstellung

2014 Wien, Albertina

Literatur

Klaus Albrecht Schröder (Hg.), Karl Prantl. Die Sprache der Steine, Ausstellungskatalog, Albertina Wien, Wien 2014, Abb. S. 92 und 93

Schätzpreis: € 100.000 - 200.000
Ergebnis: € 157.700 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

Giorgio Morandi und Karl Prantl

Niemand wird ohne weiteres auf den Gedanken kommen, daß der Bologneser Maler und der burgenländische (1) Bildhauer besonders viel miteinander zu tun hätten; jedenfalls im Hinblick auf einen direkten Vergleich ihrer höchst unterschiedlichen Werke.

Es ist vielmehr das künstlerische Bewußtsein oder das Naturell – wenn es so etwas in Bezug auf die geistige Grundhaltung gibt – was die beiden aufs engste verbindet. Ich will diese Grundhaltung anhand der vermutlich einzigen fundierten theoretischen Äußerungm Morandis erläutern, die es überhaupt gibt (2): „Was mich am meisten interessiert ist, zum Ausdruck zu bringen, was „in der Natur“ ist, also in der der Welt des Sichtbaren. Ich glaube, dass eine mögliche erzieherische Aufgabe der bildenden Künste, besonders in unserer Zeit, darin besteht, die Bilder und die Gefühle zu vermitteln, die die Welt des Sichtbaren in uns auslösen. Was wir sehen ist, glaube ich, Schöpfung, Erfindung des Künstlers, wenn er imstande ist, die Barrieren zu überwinden, d.h. jene konventionellen Bilder, die sich zwischen ihm und die Dinge drängen. Erinnern wir uns an Galileo, der sagte, dass das Buch der Philosophie, das Buch der Natur in anderen Zeichen geschrieben ist als in jenen, die in unserem Alphabet vorkommen. Diese Zeichen sind: Dreiecke, Quadrate, Kugeln, Pyramiden, Kegel und andere geometrische Figuren. Das galileische Denken lebt in meiner innersten Überzeugung, dass die von der Welt des Sichtbaren geweckten Bilder und Gefühle, also die von der gegenständlichen Welt erzeugten Bilder und Gefühle, nur schwer oder gar nicht mit Worten ausgedrückt werden können.

Tatsächlich sind das Gefühle, die in keinem oder nur in einem indirekten Zusammenhang mit den Gefühlen und täglichen Interessen stehen, weil sie ja von Formen, Farben, vom Raum, vom Licht bestimmt werden. Ich erhebe beileibe keinen Anspruch darauf, künstlerische Normen aufzustellen. Für mich gibt es (hier) nichts Abstraktes; außerdem glaube ich, dass es nichts Surrealeres, nichts Abstrakteres als die Realität gibt.“

Für Karl Prantl ist die Natur der eigentliche Künstler; der menschliche Künstler fungiert gewissermaßen als Geburtshelfer, um die Kunstwerke der Natur für den Betrachter erkennbarwerden zu lassen. Mit seinen Werken „blättert“ Karl Prantl sozusagen im „Buch der Natur“ und bringt dem aufgeschlossenen Betrachter, der „die unserem Alphabet fremden Buchstaben“ nicht ohne weiteres lesen kann, auf diese Weise „das Wahre“ näher. Diese für heutige Verhältnisse besonders ungewöhnliche Demutshaltung kann bisweilen bis an den Rand der Selbstverleugnung führen, wenn Eingriffe des Künstlers kaum noch unterscheidbar sind von „Eingriffen der Natur“, wie beispielsweise im Stein Nr. 14 (Labrador rot, 1990 bis 2002).

Vor diesem Hintergrund offenbart sich vollends, daß Debatten über „abstrakte“ oder „figurative“ Kunst sowohl für Morandi als auch für Prantl à priori abwegig und unsinnig sind; das Gleiche gilt für alle Versuche, Prantl für Strömungen wie Minimalismus und Conceptkunst zu vereinnahmen. Auch das ist abwegig und unsinnig. Eine andere, ebenso zwangsläufige wie spektakuläre Konsequenz des bildnerischen Denkens von Karl Prantl – das in diesem Punkt von Morandi abweicht – ist Prantls erweiterter Zeitbegriff: Zwar überblicken wir heute Prantls Gesamtwerk über beinahe sechs Jahrzehnte, aber vor dem Hintergrund erdgeschichtlicher Dimensionen wird diese zeitliche Distanz geradezu unbedeutend. Konsequenterweise existiert das, was wir bei anderen Künstlern eine immanente Entwicklung innerhalb ihres Gesamtwerks über eine so ausgedehnte zeitliche Distanz hinweg nennen würden, bei Karl Prantl nicht. Überflüssig zu betonen, daß alle Argumente im Umfeld von „Stilwandel“ oder gar „Moden“ Karl Prantl von vornherein gar nicht berühren können. Genau an diesem Punkt schlägt die eben erwähnte Demutshaltung in ein buchstäblich übermenschliches Selbstbewußtsein um. (Franz Armin Morat)
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(1) Ich schreibe absichtlich der „burgenländische“, nicht der „österreichische“, weil Prantls
Geburtsort, in dem er noch heute lebt, erst ein Jahr vor seiner Geburt sozusagen von Ungarn nach Österreich kam; so ist Prantl gewissermaßen ein prototypischer „Grenzlandeuropäer“. Bei meinem letzten Besuch in Pöttsching auf dem Weg zu einem seiner „en pleine campagne“ aufgestellten großen Steine, zeigte mir Prantl als erstes den Verlauf der alten österreichisch-ungarischen Grenze westlich seines Geburts-ortes vor Wiener Neustadt.

(2) Es handelt sich um ein Rundfunkinterview mit der „Stimme Amerikas“ vom 25. April 1957, abgedruckt in der 3. Auflage der großen Monographie von Lamberto Vitali, Mailand 1970, S. 97. Das außerordentliche Gewicht dieser Äußerungen wird aus der Tatsache ersichtlich, daß sie völlig einzigartig dastehen. Von den circa 2000 Briefen Morandis kenne ich etwa die Hälfte; nirgendwo findet sich dort das geringste, was man als kunsttheoretische Äußerung interpretieren könnte.