Auktionshaus

Auktion: Klassische Moderne

26. November 2013, 17:00 Uhr

0539

Oskar Kokoschka*

(Pöchlarn 1886 - 1980 Montreux)

„Venedig, Bacino di San Marco (Punta della Dogana mit Blick auf San Giorgio)“
1948
Öl auf Leinwand
65 × 90 cm
Monogrammiert links unten: OK

Provenienz

Arturo Deana, Venedig (bis 1966); durch Erbschaft an Giovanni Deana, Venedig; in den 1980er Jahren vom derzeitigen Besitzer erworben

Ausstellung

1948 XXIV Biennale, Venedig (Oskar Kokoschka, Personale), Kat.-Nr. 7a; 1966 Kunsthaus, Zürich, Kat.-Nr. 91 (falsche Maßangabe); 1986 Österreichisches Museum für Angewandte Kunst, Wien (Oskar Kokoschka, Städteporträts), Farbabb. (Titel dort: "Venedig, Punta della Dogana mit Blick auf San Giorgio"); 1991 Kunstforum Länderbank, Wien (Oskar Kokoschka, 14. März - 23. Juni), Kat.-Nr. 74 (Titel dort: "Venedig, Punta della Dogana mit Blick auf San Giorgio")

Literatur

Michelangelo Masciotta, Kokoschka, Florenz 1949, Farbabb. Tafel XXXVII; Hans Maria Wingler, Oskar Kokoschka, The work of the painter, Salzburg 1958, Nr. 350, sw-Abb. S. 331 (falsche Maßangabe); Oskar Kokoschka, Exil und neue Heimat, 1934-1980, Ausst.-Kat. Albertina, Wien 2008, Abb. S. 34 (Titel dort: "Venedig, Punta della Dogana mit Blick auf San Giorgio")

Die Authentizität des Gemäldes wurde von Dr. Alfred Weidinger bestätigt.

Schätzpreis: € 350.000 - 700.000
Ergebnis: € 623.050 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

Drei Ausstellungen brachten Oskar Kokoschka nach der Ausgrenzung und Verfolgung durch die Kulturpolitik des nationalsozialistischen Deutschland auf die Bühne der Weltkunst zurück: die erste große Nachkriegsretrospektive in Basel und Zürich 1947, die ihm unter Einschluss neuester Werke gewidmete Sonderschau auf der 24. Biennale 1948 in Venedig und die erste Gesamtschau in den Vereinigten Staaten, die von Boston ausgehend 1948/49 in fünf weiteren amerikanischen Kunstzentren Station machte und sein Werk endgültig als führend im Kanon der Kunst des 20. Jahrhunderts etablierte.
Kokoschka kam mit seiner Gattin Olda Anfang Juni 1948 in Venedig an und bezog wieder das Hotel Europa e Britannia (heute Hotel Europa & Regina) gegenüber der Kirche Santa Maria della Salute, die in barocker Pracht den Eingang in den Canale Grande beherrscht. Schon 1927 hatte er im Europa e Britannia gewohnt und die Salute auf zwei Gemälden dargestellt, einmal von einem Balkon des Hotels aus in frontaler Sicht auf die Kirche und die sie umgebenden Häuser mit dem von Gondeln belebten Kanal im Vordergrund und zum anderen, aus wesentlich höherer Perspektive erfasst, majestätisch in ihrer ganzen Erscheinung die Dächer der umliegenden Gebäude überragend. In den zwei Monaten bis Ende Juli 1948 entstanden zwei neue Gemälde: eine weitere Ansicht der Salute und zeitgleich von einer Terrasse in Höhe der vierten Etage des Hotels aus das vorliegende Panorama der Einmündung des Canale Grande in das Hafenbecken von San Marco mit der Insel San Giorgio Maggiore und der gleichnamigen Kirche, einem Meisterwerk Andrea Palladios, im Hintergrund. Wie schon 1922 im Rahmen der XIII. Internationalen Kunstausstellung zu Venedig wurde 1948 seine neuerliche Personale im Rahmen der Biennale für den Künstler zum weithin ausstrahlenden Erfolg.
Die beiden neuen Gemälde wurden frisch von der Staffelei außer Katalog in die Ausstellung integriert und noch im Sommer an bedeutende Privatsammlungen verkauft.

Wie Kokoschka in der langen Reihe seiner Porträts mit "Röntgenblick" die hinter der Fassade des äußerlichen Erscheinungsbildes im Inneren seiner Modelle wirkenden Kräfte seismographisch erspürte, so geht es dem Künstler auch in der gleich bedeutenden Werkgruppe seiner Städtebilder und Stadtlandschaften keinesfalls um photographisch genau wiedergegebene Veduten. Immer geht es um die Freilegung der energetischen, motorischen und dynamischen Ströme, die das Bild einer Stadt prägen; in gleicher Weise um die Bewegung, die das ins Auge gefasste Motiv im Lauf der Geschichte, Stile und Traditionen geformt hat oder untergehen ließ. Die 1948 entstandene neue Ansicht der Salute-Kirche ist mit der Theatralik der Dramatisierung des Architekturkörpers dafür ein ebenso sprechender Beleg wie die kurz danach entstandenen Ansichten des Florentiner Doms, der Ruinen des Forum Romanum oder das 1956 geschaffene Bild der neu eröffneten Wiener Staatsoper.
1924 hatte Kokoschka vom Balkon des Hotels Danieli an der Riva degli Schiavoni aus in spiegelverkehrter Optik den Blick über das "Bacino di San Marco" zur "Dogana da Mar" in expressiv getönter dunkler Farbgebung schon einmal gestaltet. Wie anders nimmt das nun in entgegengesetzter Blickrichtung gesehene Panorama von 1948 das Bild Venedigs auf.
In schwebender Leichtigkeit ist die architektonische Kulisse in das Farbenspiel zwischen bewegter und vom Schiffsverkehr belebter Wasserfläche und einem barock strahlenden Tiepolo-Himmel eingebettet. Das langgestreckte Zollgebäude entlang, über dessen Turm mit den die Weltkugel tragenden Atlanten und das eben einfahrende Passagierschiff hinaus führt Kokoschkas bifokale Raummagie das Auge des Betrachters in den farb- und lichterfüllten Bildraum. Befreit von den bedrückenden Erinnerungen an die Barbarei des Weltkriegs lässt der Künstler das Bild Venedigs als Sinfonie der Lebensfreude erstrahlen. (Johann Winkler)