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Auktion: Antiquitäten

27. November 2013, 17:00 Uhr

0228

Caspar Gras Werkstatt

(Mergentheim 1585 - 1674 Schwaz)

„Reiterstatuette von Erzherzog Ferdinand Karl von Tirol (?)“
Tirol, 2. Hälfte 17. Jahrhundert
Bronze, gegossen, poliert; Darstellung des Erzherzogs Ferdinand Karl (Innsbruck 1628-1662 Kaltern), des vorletzten Landesfürsten von Tirol auf einem trabenden Pferd, er trägt eine Rüstung sowie ein Hemd mit Spitzenkragen und hohe Reiterstiefel, quer über die Brust ist ein am Rücken kunstvoll verknotetes Tuch gelegt; sein linker Arm ist angewinkelt, den rechten Arm streckt er in Begrüssungsgestus zur Seite; Pferd und Reiter aus jeweils einem Guß, mit Schrauben montiert; abnehmbarer Reiterkopf; alte Lötstelle am rechten Arm des Reiters und am linken Vorderbein des Pferdes; Fehlstelle am Kragen, Zaumzeug fehlt; kleinere Beschädigungen; auf furniertem Holzsockel
44 × 38 cm (ohne Sockel)

Provenienz

seit ca. 40 Jahren in deutschem Familienbesitz

Literatur

Vergleiche: Reiterstatuette aus dem Besitz des Grafen Lamberg, Kitzbühel, siehe dazu: Gert Ammann (Hg.), Ruhm und Sinnlichkeit. Innsbrucker Bronzeguss 1500-1650, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck 1996, S. 320, Nr. 98; eine ähnliche Reiterfigur wird auch in der Kurhessischen Hausstiftung in Schloss Fasanerie bei Fulda verwahrt.

Schätzpreis: € 80.000 - 150.000
Auktion ist beendet.

Die Identität des Reiters ist nicht eindeutig zu klären. Vergleiche mit ähnlichen Reiterstatuetten, die sich im Kunsthistorischen Museum in Wien, in anderen Museen und in Privatbesitz befinden, lassen die Vermutung zu, dass es sich um Erzherzog Ferdinand Karl, den Sohn Erzherzog Leopold V. und dessen Gemahlin Claudia de Medici handelt, dies wird auch durch die physiognomische Ähnlichkeit mit zeitgenössischen Porträts untermauert.
Erzherzog Ferdinand Karl (geb. 1626 in Innsbruck) war der vorletzte Landesfürst von Tirol. Er hatte 1646 - 18-jährig - die Regierungsgeschäfte in Tirol übernommen, war kulturell überaus interessiert, machte Innsbruck zu einem Zentrum des europäischen Opern- und Theaterlebens und förderte Künstler aus aller Welt. Mit 34 Jahren erkrankte er nach einem Jagdausflug und starb 1662 in Kaltern. Ferdinand Karl war mit Anna de Medici verheiratet, mit der er zwei Töchter hatte, die ältere, Claudia Felizitas, wurde später die zweite Gemahlin Kaiser Leopold I.

Über die künstlerische Zuschreibung der Figur an den Bronzebossierer Caspar Gras gibt es kaum Zweifel. Von diesem haben sich eine ganze Reihe ähnlicher Reiterstatuetten erhalten, er gilt gewissermaßen als Spezialist für diese Kleinplastiken.
Künstlerisches Vorbild für den Typus des ruhig trabenden Pferdes ist zweifellos Giovanni da Bologna, der mit seiner Reiterstatuette für Ferdinand I. von Medici (Vaduz, Sammlungen des regierenden Fürsten von Liechtenstein) gewissermaßen den Prototyp schuf, dessen Schüler Hubert Gerhard hat diesen in der Reiterstatuette für Erzherzog Maximilian III. den Deutschmeister (Frankfurt am Main, Städtische Galerie im Liebighaus) übernommen und an seinen Schüler Caspar Gras weitergegeben. So schließt sich der Kreis und zeigt ein klares Bild der Weitergabe des künstlerischen Erbes vom Lehrer an den Schüler.

Caspar Gras wurde 1585 in Mergentheim geboren und erhielt eine erste künstlerische Ausbildung in der Goldschmiedewerkstatt seines Vaters. 1600 diente er bei Hubert Gerhard und zog 1602 mit Maximilian dem Deutschmeister nach Innsbruck. 1613 wurde er Hofbossierer, seine erste große Arbeit war das Trautson-Epitaph in der Wiener Michaelerkirche, bald darauf entstand das Grabmal für Maximilian dem Deutschmeister (Innsbruck, Dom zu St. Jakob), das zwar auf ein Konzept von Hubert Gerhard zurückgeht, aber in der Hauptsache vom jungen Gras stammt. An den gewundenen Säulen des Grabmals wird die hohe Qualität seiner Bossierkunst deutlich. In der Folge entstanden zahlreiche Bronzen, von denen der Mörser des Hans Daurnhauser (Innsbruck, Landesmuseum Ferdinandeum), der Riese Haymon (Innsbruck, Stift Wilten) und die Engelsköpfe in der Innsbrucker Jesuitenkirche hervorzuheben sind. Zwischen 1622 und 1630 entstand der Innsbrucker Leopoldsbrunnen, nicht nur sein Hauptwerk, sondern eines der wichtigsten Bronzedenkmäler des 17. Jahrhunderts im süddeutsch- österreichischen Raum. Das kurbettierende Pferd ohne Hilfsstütze ist das erste derartige monumentale Reiterstandbild der europäischen Kunstgeschichte. 1628 entstand das Doppelbildnis von Leopold V. und Claudia de Medici, 1631 die große Madonna am Münsterplatz von Konstanz. Das Modell für sein letztes Werk, einen Pegasus für Salzburg (Mirabellgarten) wurde 1660 geliefert. Caspar Gras gilt als letzter Vertreter des Manierismus. Er hat das kulturelle Erbe von Alexander Colin und Hubert Gerhard weitergeführt und die lange Tradition des Bronzegusses in Tirol zu einer letzten Blüte gebracht.
Neben den Großfiguren war es vor allem die Kleinplastik, die Caspar Gras stets beschäftigte und von der sich noch viele Stücke erhalten haben. In Museen und Privatsammlungen finden sich kleine Porträts, Fabelwesen und Reiterfigürchen, die vielfach zu Geschenkszwecken angefertigt wurden und am Hof und in Fürstenhäusern sehr beliebt waren. "Mehr als andere kleinplastische Werke ist die Bronzestatuette nicht allein für das betrachtende Auge, sondern ebenso für die tastende Hand des Sammlers geschaffen" schreibt Hans Richard Weihrauch, der die Handlichkeit als wichtigste Eigenschaft der Bronzestatuetten bezeichnet, denn "nur wer die optische Wahrnehmung der Konturen und Lichtwerte durch die haptische der Feinheiten der Modellierung vervollständigt, wird die ganze sinnliche Schönheit dieser kleinen Meisterwerke "begreifen" und die Intentionen des Künstlers nachvollziehen und auskosten können". Die für Gras charakteristischen Merkmale der Kleinfiguren sind die gleichen wie bei der Großplastik, bisweilen können interessante Parallelen zu den Hauptwerken gezogen werden. Dies gilt im besonderen Maß für die Reiterstatuetten, denen neben der künstlerischen auch eine repräsentative Bedeutung zukommt.

Was das Auswechseln der Köpfe betrifft, so findet man dieses Phänomen im 16. und 17. Jahrhundert sehr häufig. Die Gestalt des Reiters und das Pferd werden oft unverändert von einer Plastik zur andern übernommen, um sie dann durch Aufsetzen eines Porträtkopfes zum gewünschten Herrscher zu machen. In der italienischen Spätrenaissance kamen die sog." cavallini" auf, Kleinmodelle, die eine nahezu industrielle Verwertung des Reitermotivs ermöglichten. Caspar Gras hat sich in seinen Reiterstatuetten sowohl an den Typus des kurbettierenden Pferdes als auch des trabenden Pferdes gehalten, die Reiter sind im Küraß der Zeit um 1650 dargestellt, die Köpfe sind abnehm- und auswechselbar. Die Produktion solcher Kleinplastiken aus der Werkstatt des Innsbruck Hofbossierers muss groß gewesen sein. Anton Roschmann berichtet bereits 1742 von zahlreichen Reiterstatuetten in Privatbesitz - u.a. von zwei Statuetten mit den auswechselbaren Köpfen von Ferdinand Karl und Sigismund Franz - und heute noch kommen in den Kunstinventaren der europäischen Adelshäuser manche bislang unbekannte Stücke zum Vorschein.
(Franz Caramelle, Auszug aus seinem Beitrag "Ein Erzherzog hoch zu Ross. Caspar Grass - Meister des Bronzeguss", Journal im Kinsky, Nr. 3, Dezember 2013)