Auktionshaus

Auktion: Zeitgenössische Kunst

11. Oktober 2005

0327

Arnulf Rainer

(Baden 1929)

„Selbstporträt“
1969-73

Schätzpreis: € 50.000 - 90.000
Ergebnis: € 76.800 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

Arnulf Rainer
(Baden 1929 geb.)
"Selbstporträt"
Öl auf Foto auf Hartfaser
101 x 87 cm
Signiert und datiert rechts unten: A. Rainer 69/71/73
Signiert, betitelt und datiert rückseitig: Rainer Selbstportait 70/73

Gegen Ende der 1960er Jahre hatte Arnulf Rainer die These aufgestellt, dass in jedem von uns viele unbekannte Gesichter schlummern. Jede mimische Aktivierung, jedes Grimassieren im Sinne einer "Face-Farces" legt Phasen und Schichten eines großen Repertoires frei, das im Alltag nur in seinen gesellschaftlich akzeptierten Standards und Nutzanwendungen als zulässig und normal erachtet wird.
"Gesichter, die der Künstler noch nie gesehen hatte, verhüllt und verformte, böse Grimassen, schiefe Profile, komische Schemen etc." begannen Rainer um 1970 mehr und mehr zu interessieren. Er hat daher viele Jahre hindurch mit großer Konsequenz in verschiedenen Techniken, formalen Methoden, Bildformaten und Absichten den immer aufs Neue überraschenden Möglichkeiten körpersprachlichen Ausdrucks nachgeforscht. Im Fratzenschneiden der Kinder, den mimischen Äußerungen psychisch Kranker und in den Charakterköpfen des österreichischen Barockbildhauers Franz Xaver Messerschmidt fand er viele Parallelen zu seinen Ambitionen.
Von einem Profifotografen ließ er von sich grimassierte Selbstbildnisse anfertigen, die er später mit graphischen und malerischen Methoden im Sinne ausdrucksbezogener Verdichtung und Akzentverschiebung weiter bearbeitete.

Das Selbstporträt in unserer Auktion ist ein eindringliches und typisches Beispiel einer in mehreren Phasen über Jahre hinweg vorgenommenen Überarbeitung. Rainer begann damit 1969 und beendete das Bild 1973.
Ebenso wie die Vorgangsweise in Etappen zeigt auch die gewählte Technik die relativierende Mehrschichtigkeit des Bildes auf. Die mittelgroße Arbeit ist barock-expressiv, das leicht unscharfe, im Foto ohnedies schon verdunkelte Porträt wird mittels der Farbe aktiviert, in der Mundpartie kräftig überarbeitet, mit gelben und roten Farbflecken versehen, einem grünen Dreieck behängt und im Dickicht der damaligen Haarpracht Rainers über der Stirn mit einem roten Pinselhieb akzentuiert. Zweifellos ein extatischer Prozess der Selbstdarstellung und Bildwerdung, der Verschüttetes aufdeckt, dem Dunkel entreißt. Von der Methode her lassen sich Vergleiche zu den Fest-und Kriegsbemalungen intakter Naturvölker herstellen, obwohl Absichten und Anlässe divergieren.
Als Arnulf Rainer die ersten Bilder dieser Art zeigte, gab es Aufruhr und - natürlich kontrolliertes - Kopfschütteln. Heute sind diese Bilder bereits neuere Kunstgeschichte, eine Kunstgeschichte übrigens, die der bedeutende österreichische Maler durch mehrere Pionierleistungen innovatorisch ergänzt und unverwechselbar bereichert hat.
(Peter Baum)