Auktionshaus

Auktion: Alte Meister

20. Juni 2023, 14:00 Uhr

2084

„Zeus und Kallisto“
Öl auf Kupfer; gerahmt
48 x 31 cm
Rückseitig eine nur fragmentarisch erhaltene Bezeichnung (wohl 17. Jahrhundert)

Provenienz

Dorotheum, Wien, 4. Dezember 1973, Lot 58 (als Joseph Heintz d.Ä.);
seither Privatbesitz, Wien

Literatur

Jürgen Zimmer, Joseph Heintz der Ältere. Neue Ergebnisse zum Werk des Malers, in: Alte und moderne Kunst XXIV, Heft 163, Wien 1979, S. 11f., SW-Abb. 6, (als Matthäus Gundelach zugeschrieben);
Thomas DaCosta Kaufmann, The School of Prague. Painting at the Court of Rudolf II, Chicago/London 1985, S. 196 (erwähnt unter Nr. 7.43);
Prag um 1600. Kunst und Kultur am Hofe Kaiser Rudolfs II. (Kat. Ausst., Kunsthistorisches Museum, Wien 1988/1989), Band 2, Freren 1988, S. 89f. (erwähnt unter Nr. 559)

Schätzpreis: € 180.000 - 360.000
Ergebnis: € 256.000 (inkl. Gebühren)*
unter Vorbehalt, Limit: € 250.000
Auktion ist beendet.

Die Komposition des vorliegenden Gemäldes entspricht Joseph Heintz d. Ä. (1564-1609) berühmtem Werk „Zeus und Kallisto“, welches sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet (40 x 31,7 cm, Öl auf Kupfer, Inv.-Nr. GG 1105). Dieses war wahrscheinlich schon im Bestand der Prager Kunstkammer Kaiser Rudolfs II. (1552-1612), ist jedoch erst seit 1781 in der Galerie nachweisbar. Die Darstellung wurde in der Vergangenheit aufgrund der Häufigkeit des Themas am rudolfinischen Hof als „Venus und Adonis“ interpretiert, konnte jedoch anhand der beigefügten Attribute in den letzten Jahrzehnten als „Zeus und Kallisto“ identifiziert werden. Davon, dass es sich um die Geschichte einer der Liebschaften des Göttervaters handelt, zeugen der Adler und das Blitzbündel am rechten Bildrand. Er näherte sich der Nymphe Kallisto in Gestalt der Jagdgöttin Artemis, deren muskulös-androgyn wirkender Körper dem Betrachter nur in der leicht gedrehten Rückenansicht und im Kontrast zur in weiblichen Rundungen erscheinenden Nymphe präsentiert wird. Pfeil und Bogen in der rechten unteren Ecke sowie die beiden Jagdhunde verweisen ebenfalls auf die Jagdgöttin.
Die Putten im Vordergrund scheinen von Parmigianinos „Bogenschnitzendem Amor“ (KHM, Inv.-Nr. GG 275) angeregt, ein Gemälde das Rudolf II. 1503 erwarb und welches auch kurz später von Joseph Heintz d. Ä. kopiert wurde (KHM, Inv.-Nr. GG 1588). Dies zeugt nicht nur von der gängigen Kopier-, Wiederholungs- und Variationspraxis unter den Künstlern am rudolfinischen Hof, sondern begründet auch die Datierung der Komposition von „Zeus und Kallisto“ kurz nach 1603. Zeitnah also zur 1605 datierten „Leda“, in welcher sich Zeus der Königstochter in Gestalt eines Schwans nähert. Letzteres Werk war auch in den rudolfinischen Inventaren verzeichnet, wurde jedoch 1623 an einen Antwerpener Kunsthändler verkauft und konnte erst kürzlich wieder in deutschem Privatbesitz wiederentdeckt werden (vgl. Ausstellungskatalog Augsburg, Schaetzlerpalais: Die verschollene Leda, Joseph Heintz d. Ä., Augsburger Bürger und kaiserlicher Hofmaler, Berlin/ München 2015).
Vorliegende Kupfertafel galt bei ihrem Erwerb im Jahre 1973 als eigenhändige Variante des Gemäldes von Joseph Heintz d. Ä. und wurde nun 50 Jahre in Privatbesitz bewahrt. Sie fand seither mehrfach Erwähnung als zeitgenössische Kopie in der Literatur und Ausstellungskatalogen zum Werk im Kunsthistorischen Museum (vgl. The School of Prague 1985 oder Prag um 1600, 1988). Bereits 1979 publizierte Dr. Jürgen Zimmer das Gemälde und schlug eine mögliche Zuschreibung an Matthäus Gundelach (1566-1653) vor: „Die Heintzsche Darstellung ist im Wesentlichen sehr getreu wiederholt, ja sogar ist Gundelach auf seine Handschrift eingegangen, jedoch ist das Format etwas mehr in die Höhe gestreckt, so dass die Landschaft einen größeren Raum einnimmt. Außerdem fehlt der Lorbeerkranz, den Venus auf der Heintzschen Vorlage trägt. Die Wiederholung dürfte der mittleren Prager Zeit Gundelachs angehören und etwa zwischen 1605 und 1613 entstanden sein. Damals stand der Maler unter dem starken Einfluß des Heintz, das jedenfalls lässt sich noch an seinem 1613 datierten Bild ‚Amor und Psyche‘ der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen (…) ablesen“ (Zimmer 1979, S. 11f.).
Zwischen Joseph Heintz d. Ä. und dem etwa gleichaltrigen Matthäus Gundelach bestand eine enge künstlerische Beziehung. So war der ebenso in Augsburg tätige Heintz ab 1591 Hofmaler Rudolfs II. und auch Gundelach ist ab 1593 im Kreis der kaiserlichen Künstler in Prag dokumentiert – möglicherweise anfangs tätig im Atelier von Bartholomäus Spranger (1546-1611). Im Jahre 1509, nach dem Tode von Joseph Heintz, übernahm Gundelach die Nachfolge als kaiserlicher Kammermaler. „Zudem hatte er 1610 die Witwe von Joseph Heintz d. Ä. geheiratet, damit vermutlich dessen Haus und Werkstatt übernommen und die unvollendet gebliebenen Arbeiten seines Vorgängers fertiggestellt, mit dem er in den Jahren zuvor wohl eng zusammengearbeitet hatte.“ (Die Deutsche Barock Galerie im Schaezlerpalais. Meisterwerke der Augsburger Sammlung, Berlin/München 2016, S. 160, Nr. 40).
Die wohl aus dem 17. Jahrhundert stammende Bezeichnung auf der Rückseite der Kupfertafel hätte möglicherweise noch nähere Auskunft zu den genaueren Entstehungsumständen und Geschichte des Gemäldes geben können, ist jedoch heute leider nur mehr in Fragmenten erhalten. Die malerische Qualität in Details und Lasuren zeugt jedoch von der meisterlichen Ausführung im engsten Kreis der am Prager Hof versammelten Künstlerelite. Die zum stilprägenden Begriff gewordene Bezeichnung „Prag um 1600“ repräsentiert heute nicht nur die politische Hauptstadt des damaligen Kaiserreiches, sondern vor allem das einzigartige, für nur wenige Jahrzehnte andauernde geistige und künstlerische Zentrum, welches Rudolf II. um sich herum geschaffen hatte.