Auktionshaus

Auktion: Klassische Moderne

17. Dezember 2020, 14:00 Uhr

1323

Egon Schiele

(Tulln 1890 - 1918 Wien)

„Liegender Akt, masturbierend“
1914
Bleistift auf Papier
31,8 x 48,3 cm

Provenienz

Sam Francis, Santa Monica;
Galerie St. Etienne, New York (bis Februar 1997);
Privatbesitz;
Christie's New York, 02.11.2011, Nr. 151;
Privatsammlung, Wien

Ausstellung

2015 Paris, Au Temps de Klimt. La Sécession à Vienne, Pinacothèque de Paris, 12.02.2015-21.06.2015;
2016 Innsbruck, Messe Innsbruck, Haupthalle A, Interpretations of nude, MilionArt - a brand of Froner & Partner GmbH, 30.11.-04.12.2016;
2017 Wien, Egon Schiele, Albertina Museum, 22.02.-18.06.2017

Literatur

Jane Kallir, Egon Schiele. The Complete Works. Including a Biography and a Catalogue Raisonné, New York 1998, S. 673, WVZ-Nr. D. 1579b (Abb.);
Egon Schiele, Ausstellungskatalog, Albertina Museum, Wien 2017, 22. Februar-18. Juni, Abb. S. 292, Nr. 118

Schätzpreis: € 220.000 - 380.000
Ergebnis: € 280.000 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

Nach seiner Zeit in Krumau und Neulengbach, die im Gefängnisaufenthalt in St. Pölten wegen „gröblicher Verletzung der Sittlichkeit“ endet, kehrt Egon Schiele im Herbst 1912 wieder nach Wien zurück. Der Künstler ist tief getroffen von diesem grundlegenden Missverständnis seiner Kunst. Denn selbst die dem Betrachter pornografisch erscheinenden Aktdarstellungen, haben für ihn eine weitaus tiefergehende Bedeutung als die vordergründige Betrachtung vermuten lässt: „Auch das erotischste Kunstwerk hat Heiligkeit!“, schreibt er in einem Brief an seinen Onkel (Egon Schiele, Ausstellungskatalog, Albertina, Wien 2017, S. 32). In den schonungslosesten Aktdarstellungen geht es ihm stets „um die respektvolle Anerkennung der Körperlichkeit unseres Daseins – einschließlich eben auch unserer Sexualität –, um die tief gefühlte Tragik, dass Leben neben Lust stets auch Leiden bedeutet.“ (Albertina, S. 32) Und so sind selbst die erotischen Zeichnungen von tiefer Ernsthaftigkeit und würdevollem Respekt geprägt.

Zweifellos steht die menschliche Gestalt im Zentrum des Schaffens von Egon Schiele, ist sie doch am besten geeignet, die Liebe zum Leben, die Lust, aber auch die Tragik jeglicher Existenz ausdrucksstark wiederzugeben. „Die Figur ist doch das Wesentlichste, was mich am meisten erfüllt, der menschliche Körper“ (Egon Schiele in: Broncia Koller-Pinell. Eine Malerin im Glanz der Wiener Jahrhundertwende, Ausstellungskatalog, Jüdisches Museum, Wien 1993, S. 104), so der Künstler. Und in keinem Genre lässt sich die stilistische Entwicklung Egon Schieles besser nachvollziehen als an seinen Zeichnungen menschlicher Gestalten.

1914, das Jahr in dem Egon Schiele seine spätere Frau, Edith Harms, kennenlernt, bringt einen deutlichen Stilwandel mit sich. Es kommt zu einer Geometrisierung der Detailform, zu festen Konturen kombiniert mit Vereinfachungen und Stilisierungen, von denen Hände, Füße aber auch Gewand und Haare der Figuren betroffen sind. Im „Liegenden Akt, masturbierend“ sieht man diese Geometrisierung vor allem im Gesicht der jungen Frau. Der Kopf ist ein im Verhältnis zum Körper etwas klein geratener Kreis, Augenpartie, Nase und Augenbrauen werden durch zwei Bogenformen in zwei rasch gesetzten Strichen angedeutet, nur der Mund und das lockige Haar sind noch Hinweis auf ein weibliches Antlitz. Die Figur wird vor allem durch das Fehlen der Augen weitgehend anonymisiert, es fehlt jetzt der direkte Kontakt zum Betrachter, den die Akte um 1910/1911 durch ihren intensiv-fixierenden Blick aufbauen. Das maskenähnliche Gesicht könnte auch mit Egon Schieles Beschäftigung mit afrikanischer Kunst in dieser Zeit zusammenhängen. Über seinen Förderer und Freund Arthur Roessler konnte er einige Artefakte für seine eigene Sammlung erwerben. Die Pose der Liegenden ist mit wenigen schwungvollen Strichen eingefangen, Kontur und Binnenzeichnung sind gleichwertig, es fehlt die starke Betonung der Umrisslinien früherer Werke. Schiele geht es nun mehr um das kompositorische Element, als um das emotionale. Der expressive Moment tritt in Form der kürzeren, fahrigen Striche in Erscheinung, mit denen der Künstler Gewand und Haar der Dargestellten festhält.

Die wundervolle Bleistiftzeichnung, die auf mehreren Ausstellungen zu sehen war, unter anderem in der großen Schiele-Schau 2017 in der Wiener Albertina, und in verschiedenen Katalogen abgebildet ist, hat zudem noch eine beeindruckende Provenienz. Sie stammt aus der Sammlung von Sam Francis, einem wichtigen Hauptvertreter des amerikanischen Action Painting. Er dürfte schon früh die große Bedeutung Egon Schieles als wegweisenden Expressionisten erkannt und daher dieses Bild für seine Sammlung erworben haben.
(Sophie Cieslar)