Auktionshaus

Auktion: Klassische Moderne

30. November 2018, 17:00 Uhr

0394

Albert Birkle*

(Berlin 1900 - 1986 Salzburg)

„Nächtliche Leipziger Straße, Berlin“
1926
Pastell auf Karton
99 x 69,5 cm
Signiert rechts unten: A. Birkle

Provenienz

1977 Neue Münchner Galerie Dr. Hiepe, direkt vom Künstler;
Privatsammlung, Deutschland

Ausstellung

1927 Berlin, Galerie Hinrichsen, Sonderausstellung Albert Birkle, Nr. 3 (o. Abb);
1929 Ulm, Städtisches Museum, Kollektivausstellung Albert Birkle;
1980 Salzburg, Salzburger Museum Carolino Augusteum, Albert Birkle, 11. 07.-07. 09, Kat.-Nr. 14 (m. Abb.);
1993 Schloß Kißlegg, Expressiver Realismus, 13. Mai bis 30. September, Kat.-Nr. 7 (Abb.);
1994 Paris, La Grande Galerie du Centre Georges Pompidou, 10. 02.- 09. 05., La ville, art et architecture en Europe, 1870-1993, Farbabb. S. 2 (Etikett verso);
1995 Ismaning, Kallmann Museum, Expressiver Realismus-Sammlung Hierling;
1996 Tokyo, Museum of Contemporary Art, La ville moderne en Europe 1870-1996, 24. 07-16. 09, Nr. 127, m. Abb. (Etikett verso);
2001 Salzburg, Salzburger Museum Carolino Augusteum, "Albert Birkle", 16. 02-29. 04; Rottweil, Dominikanermuseum, 19. 10.-02. 12; Kißlegg, Museum Expressiver Realismus, Neues Schloß Kißlegg, 13. 05 -30. 09., Kat.-Nr. 11, Abb. 9;
2006 Frankfurt, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Die Eroberung der Straße von Monet bis Grosz, 15. 06 -03. 09, m. Abb, o. Nr.;
2013 Rosenheim, Städtische Galerie, „Farbe als Antwort - Expressiver Realismus - Sammlung Hierling“, 25. 01.-07. 04.;
2009-2018 Schweinfurt, Dauerpräsentation, Kunsthalle Schweinfurt

Literatur

Hellweg, 7. Jahrgang Heft 22, Essen 25. Nov. 1927, S. 371, Abb.;
Die Buchgemeinde. Monatshefte für Literatur, Kunst und Wissenschaft, 4. Jg. 1927/28, Heft 1, Juli 1927, Abb. Seite 35;
Westermanns Monatshefte, 73. Jg., 146. Bd., 1. und 2. Teil, März 1929 bis August 1929, S. 81 ff., Abb. S. 88;
Katalog „Der Maler Albert Birkle“. Werke 1921-1933, Neue Münchner Galerie 1977, Abb.;
Deutsche Volkszeitung, Düsseldorf, 02. 10. 1980 (Abb.);
Alte und moderne Kunst, Nr. 175, Salzburg 1981, Abb. S. 71;
Rudolf Pfefferkorn, Albert Birkle. Leben und Werk, Hamburg 1983, Farb-Abb.17;
Sylvia Kraker, Albert Birkle 1900-1986 mit einem Werkkatalog, Innsbruck 1992, WV-Nr. 269, Abb. 53, S. 197;
Nikolaus Schaffer, Albert Birkle, Katalog zur Sonderausstellung im Salzburger Museum Carolino Augusteum, Salzburg 2001, Kat.-Nr. 11, Abb. 9, S. 50

Wir danken Roswita und Viktor Pontzen, Archiv und Werkbetreuung Albert Birkle, für die freundliche Unterstützung. Das Bild wird mit der vorläufigen Werk-Nr. 779 in das in Vorbereitung befindliche Werkverzeichnis aufgenommen.

Schätzpreis: € 80.000 - 120.000
Auktion ist beendet.

„An alle Künstler, Dichter und Musiker….Wir müssen uns endlich aufmachen und mithelfen, daß eine gerechte Ordnung in Staat und Gesellschaft eingesetzt werde... Es darf keine Ausbeuter und Ausgebeuteten mehr geben!“ (Ludwig Meidner 1919, in: Albert Birkle. Ölmalerei und Pastell. Ausstellungskatalog, Museumpavillon im Mirabellgarten, Salzburg 1980, o.S.)

Nach dem Ersten Weltkrieg war das Wilhelminische Deutschland zerstört und der Demokratisierungsprozess mündete in der Weimarer Republik. Doch nicht allen war dieser Prozess radikal genug, die Ungerechtigkeiten gegenüber der arbeitenden Klasse bei weitem nicht ausgemerzt. Zahlreiche Künstler unterstützten die Anliegen der Proletarier. So war Albert Birkle 1920 beim Streik der Arbeiter gegen den Kapp-Putsch und die Auflösung der Republik ebenso dabei, wie gemeinsam mit George Grosz und Otto Dix bei der Unterzeichnung des „Manifestes für den Achtstundentag“. Sein politisches Engagement wird begleitet von einer Skepsis gegenüber Massenhysterie und ideologischen Fanatismus. Noch zu Akademiezeiten findet er zu seinem Stil, einem sozialkritischen Realismus mit neusachlichen Zügen, der ihn mit seiner „unbarmherzig aufdeckenden, ja entblößenden Beobachterperspektive“ (Nikolaus Schaffer, Albert Birkle. Ausstellungskatalog, Salzburger Museum Carolino Augusteum, Salzburg 2001, S. 20) zu einem Vorreiter dieser neuen Stilrichtung macht.

Um 1923 ist das mit Recht zu den Hauptwerken des Künstlers gezählte Bild „Leipzigerstraße“ entstanden, das auf zahlreichen Ausstellungen gezeigt wurde und in vielen Katalogen abgebildet ist. Die reife Malerei lässt keineswegs auf einen Künstler schließen, der noch mitten in der Ausbildung steht – 1924 beendet er sein Studium an der Hochschule der Künste in Berlin, um dann bis 1927 unterstützt von Max Liebermann an der Preußischen Akademie der Künste zu studieren –, erklärt aber die Aufnahme 1921 in die Berliner Secession als deren jüngstes Mitglied.
Wir blicken in die stark belebte Leipzigerstraße in Berlin-Mitte. Ein Strom von Menschen und Pferdefuhrwerken zieht die nächtliche, von wenigen Lichtquellen beleuchtete Straße entlang. Trotz der Menschenmassen beschleicht uns ein Gefühl der Einsamkeit, es ist ein seltsam geordnetes Gedränge in absoluter Lautlosigkeit. Die einzelnen Figuren haben keine Verbindung zueinander, jeder geht unbeirrbar seines Weges. Das Gefühl der Anonymität wird noch dadurch verstärkt, dass uns die meisten Figuren den Rücken zuwenden. Nur ein alter Mann am vorderen Bildrand blickt den Betrachter direkt mit weit aufgerissenen Augen an. Sein Ausdruck ist eine Mischung aus Erstaunen, Entsetzen und hoffnungslosem Verzweifeln. Figuren wie diese sind typisch für das Werk Birkles und stehen gleichsam als Sinnbild für die Trostlosigkeit und Brutalität des Großstadtlebens. Sie sind „Archetypen des erniedrigten Menschentums“ (Schaffer, S. 19). Die Leipzigerstraße des Jahres 1923 ist eine belebte Geschäftsstraße, sie war eine der ersten in Berlin mit elektrischem Licht. Nichts deutet hier aber auf eine mondäne Flaniermeile hin. Die Straßenlampen führen in eine unendliche Tiefe, wie von etwas Unbekanntem magisch angezogen streben die in dunklen Tönen gewandeten Menschen zu Fuß oder auf Pferdfuhrwerken auf ein ungewisses Ziel, eine ungewisse Zukunft hin. Die überzeichnete Perspektive der Straßenschlucht, die schemenhaft sich hoch auftürmende Architektur und die geisterhafte Figurenszenerie verleihen dem Bild eine fantastisch-surreale Wirkung, ein Aspekt im Schaffen Albert Birkles, der ihn vom Satirisch-Karikaturhaften eines Otto Dix oder George Grosz deutlich unterscheidet.
(Sophie Cieslar)