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Fernand Léger*
(Argentan 1881 - 1955 Gif-sur-Yette)
„Vie“
1951-1952
Fresko, fachmännisch abgelöst und auf neues Trägermaterial aufgezogen
103 x 133 cm
Provenienz
Haus des Künstlers in Lisores, Normandie;
Hélène Thénier-Samoilov und Pierre Thénier, bis 2007;
Schweizer Privatsammlung;
Galerie Fischer Luzern, 17. 06. 2010, Nr. 156;
europäische Privatsammlung
Wir danken, Dominique Bermann Martin, Neffe des Künstlers, für die freundliche Unterstützung. Das Gemälde wird von ihm in das in Vorbereitung befindliche Werkverzeichnis aufgenommen.
Zustandsbericht von Laurent Laxenaire, conservateur restaurateur de peinture, spécialiste des supports peints, vom 21. 11. 2002;
Echtheitsbestätigung von Hélène Thénier-Samoilov und Pierre Thénier, vom 30. Juni 2007;
Echtheitsbestätigung von Natalie Thénier-Samoilov, vom 4. Juli 2007;
Echtheitsbestätigung von Francois Lorenceau, Brame & Lorenceau, vom 5. Juli 2007
Schätzpreis: € 70.000 - 140.000
Auktion ist beendet.
Fernand Légers Wurzeln liegen im Kubismus Pablo Picassos und Georges Braques und den kunsttheoretischen Ansätzen der in Paris ansässigen Gruppe Abstraction-Création. In den 1920er Jahren wird er zum Vorreiter einer neoplastizistischen Strömung. Unter diesem neuaufkeimenden Realismus versteht er „die simultane Zusammenstellung der drei bildgestaltenden Grundelemente Linie, Form und Farbe“ (Fernand Léger, Mensch, Maschine, Malerei. Aufsätze zur Kunst, Bern 1971, S. 19), die er im Laufe seines Schaffens auch immer wieder neu auslotet.
Das 1951-1952 nach den Jahren des New Yorker Exils (1940-1945) wieder in Frankreich entstandene „Vie“ (das Leben) erinnert an Kompositionen Hans Arps, einer der Mitbegründer der Gruppe Abstraction-Création, kann aber auch als Wegweiser für die Farbfeldmalerei eines Ellsworth Kelly oder Kenneth Noland verstanden werden. Es handelt sich um ein fachmännisch abgetragenes und auf ein neues Trägermaterial aufgezogenes Fresko aus dem Haus des Künstlers in Lisores in der Normandie, das Léger von seiner Mutter geerbt hatte. Das einfache Anwesen diente ihm neben seinem Wohnsitz in Paris als Rückzugsort und Atelier, das nur enge Freunde wie Jean Cocteau, Le Corbusier oder der Kunsthändler Henri Kahnweiler besuchen durften. In den 1970er Jahren öffnete Légers zweite Frau und ehemalige Schülerin Nadia Khodasevich das Haus für die Öffentlichkeit. Nach einigen Jahren im Dornröschenschlaf soll die Farm 2019 neu restauriert wieder als Museum zugänglich werden.
„Vie“ ist ein eigentümliches Zwitterwesen aus Kubismus, Surrealismus und Abstraktion. Formen schieben sich über- und ineinander. Sie sind flach und räumlich, erstarrt und in Bewegung zugleich. Sie schweben vor oder sind fixiert auf einem weißen Bildgrund, gleichzeitig wird dieser selbst im gleichfarbigen Oval im Vordergrund zur Form, wodurch die Grenzen der einzelnen räumlichen Ebenen verschwimmen, ja aufgehoben werden. Es gibt kein klar definiertes Vorne oder Hinten. Ehemals streng geometrische Formen werden organisch verzerrt. Wie Arp geht es Léger darum, „das von innen heraus urhaft Keimende organischer Formen darzustellen“ (Johannes Jahn: Wörterbuch der Kunst, 10. Aufl., Stuttgart 1983, S. 45), dabei spielt die Farbe eine wesentliche Rolle. In der formalen Gestaltung gehört die Tempera zu einer abstrakten Werkgruppe, die zeitgleich mit den großen figuralen Gemälden der Zeit um 1950 entsteht. Die Abstraktion erachtet Fernand Léger als absolut notwendig „für die Befreiung der Bildelemente“ (Nicholas Serota (Hg), Fernand Léger. Zeichnungen. Bilder. Zyklen 1930-1955. Ausstellungskatalog, Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart 1988, S. 11), um daran anschließend erst ein neues Figurenkonzept zu erarbeiten. Das Bild „Vie“ zeigt gleichsam die Urformen des Lebens, das Urgerüst, auf dem die Figurenbilder aufbauen können und deren Verständnis sich aus Kompositionen wie vorliegender erst ableiten lässt. So kann man aus Arbeiten der 1940er Jahre bereits den Übergang vom abstrakten zum figuralen Bildnis ablesen. Bunte geometrische Formen werden hier zunächst mit schwarzen Umrissen kombiniert, die dann modelliert zu immer kompakteren Figuren ausgebildet werden. Gleichzeitig kehrt der Künstler aber immer wieder zum rein Abstrakten zurück, scheint das Ziel des Figurativen zu umkreisen und immer wieder neu zu hinterfragen. Zentrales Anliegen ist dabei stets „die schonungslose Untersuchung des einzelnen Objekts im Raum“ (Serota, S. 10) und der der Farbe innwohnenden Möglichkeiten als Auslöser von Sinnes- und Körperempfindungen.
(Sophie Cieslar)