Auktionshaus

Auktion: Zeitgenössische Kunst

20. Juni 2018, 18:00 Uhr

0854

Walter Navratil*

(Klosterneuburg 1950 - 2003 Wien)

„Kathedrale“
1986
Öl auf Leinwand; gerahmt
240 × 180 cm
Signiert rechts unten: NAVRATIL

Provenienz

2008 im Auktionshaus im Kinsky Wien erworben, 69. Auktion (lot 535);
seither europäische Privatsammlung

Schätzpreis: € 15.000 - 30.000
Ergebnis: € 17.160 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

„Navratils Malerei hat einen philosophischen, am Menschen zweifelnde Grundton und zeigt gleichzeitig ein verläßliches Spiegelbild seiner emotionalen Befindlichkeit ... In allen Bildern ist eine Nachtseite von manchmal verhaltener, aber nicht weniger zwingender Intensität enthalten, doch kommt Ironie durchaus zum Zug. Manche Gemälde spielen mit dem kleinen Schritt, der von der Naivität zur Doppelbödigkeit führt. Das Spiel ist natürlich ernst gemeint. Als Eindruck bleibt: die Welt ist fragwürdig. Und der Mensch ist das am meisten Fragwürdige.“ (Christine Kintisch in: Walter Navratil. Gemälde 1970-1998. Ausstellungskatalog, Bawag Foundation, Wien 1998, S. 50)

Walter Navratils Malerei lässt sich stilistisch kaum einordnen. Es sind zwar Bezüge zur Neuen Sachlichkeit eines Rudolf Wacker oder Franz Sedlacek vorhanden, sicher auch Anklänge an die magisch-surrealen Bildwelten eines Giorgio de Chirico oder René Magritte, er findet jedoch zu völlig neuen Bildthemen und Inhalten. Sicherlich Einfluss auf sein Schaffen hatte auch die Art Brut der Gugginger Künstler, in deren Umkreis er als Sohn Leo Navratils, Psychiater in Gugging und Entdecker und Förderer der Künstler-Patienten, aufwuchs.

In seinen Bildern sehen wir uns oft mit einsamen Figuren in rätselhaften Settings konfrontiert. Ein wenig erinnert uns „Kathedrale“ an die Bildanordnung von Edvard Munchs „Der Schrei“. Eine kahlköpfige Figur mit maskenartigem Gesicht steht im Bildvordergrund während sich dahinter in die Diagonale ein weiter Raum öffnet. Natürlich fehlt dem Bild Walter Navratils das Expressive in Pinselduktus und Farbwahl und die Einsamkeit und Isoliertheit des Menschen ist hier ins Subtil-Ironische verzerrt, aber auch diesem Bild haftet die Aura des Geheimnisvollen und unterschwellig Bedrohlichen an. Abweisend und kahl ist das nur durch eine einzige surreale Lichtquelle erhellte Kirchenschiff mit seinem Kreuzrippengewölbe. In diffuses Licht getaucht steht der einsame Mann, der mit seinen verkürzten Beinen wie ein Kind mit einem zu groß geratenen Kopf wirkt, in selbstbewusster Pose vor uns. Sein Grinsen verzerrt das Gesicht zur Fratze, die Augen funkeln erwartungsvoll und auch ein wenig unheimlich mit den grellweißen Pupillen. Die Erwartungshaltung der Figur überträgt sich auf den Betrachter: was wird passieren, wird überhaupt etwas passieren? Der Künstler erzeugt in seinen Bildern eine Spannung, die sich aus den narrativen Elementen und der Komposition ergibt und sich in unserer Fantasie fortsetzt. (Sophie Cieslar)