Auktionshaus

Auktion: Alte Meister

27. November 2014, 15:00 Uhr

0832

Pietro Bellotti, genannt Canaletto

(Venedig 1725 - um 1800 Frankreich)

„Blick auf den Graben in Wien“
um 1760
Öl auf Leinwand
38,5 × 48,5 cm
Rückseitig auf Keilrahmen bezeichnet: No. 1807bis / Ms de St-M-M
Rückseitig auf Keilrahmen mit Kohle bezeichnet: De Montcalm

Provenienz

Provenienz (laut rückseitiger Bezeichnung): Le Marquis de Saint-Mauris-Montagne (möglicherweise Charles-Emmanuel-Xavier de Saint-Mauris (Châtenois 1708 - 1773) oder dessen Sohn Charles-Emmanuel-Polycarpe de Saint-Mauris (Saulx 1753 - 1839 Colombier)); später im Besitz der Familie De Montcalm, Frankreich; Privatsammlung, Großbritannien

Ausstellung

Venedig, Ca’ Rezzonico, Museo del Settecento veneziano, Pietro Bellotti: un altro Canaletto, 7. Dezember 2013 – 28. April 2014

Literatur

Charles Beddington, Pietro Bellotti in England and Elsewhere. in: The Burlington Magazine, Vol. 149, Nr. 1255, Art in Britain, Oktober 2007, S. 684, Abb. 31; Charles Beddington/ Domenico Crivellari (Hg.), Pietro Bellotti: un altro Canaletto. Ausstellungskatalog, Ca‘ Rezzonico, Museo del Settecento veneziano, Venedig 7. Dezember 2013 - 28. April 2014, S. 69, Nr. 31, Abb. 31 S. 118

Schätzpreis: € 30.000 - 60.000
Auktion ist beendet.

Pietro Bellotti war der Neffe von Canaletto und der jüngere Bruder von Bernardo Bellotto. Obwohl er so nahe mit diesen beiden großen Genies der venezianischen Vedutenmalerei verwandt war, wurde Bellottis Werk lange übersehen. Sein Schaffen wurde jedoch kürzlich wiederentdeckt und mit einer Einzelausstellung in Venedig gewürdigt, in welcher auch vorliegende seltene Wien-Ansicht gezeigt wurde.

Es wird angenommen, dass Pietro Bellotti zunächst Assistent in der Werkstatt seines berühmten Onkels Antonio Canal (1697–1768), genannt Canaletto, war, bis er daran anschließend zum einzig dokumentierten Schüler seines älteren Bruders Bernardo Bellotto (1721–1780) während dessen Jahre in Venedig wurde. Durch eine Vereinbarung vom 5. November 1741 ist bekannt, dass Pietro seinem Bruder 120 Dukaten für Verpflegung und Ausbildung bis zum 25. Juli 1742 bezahlte. Es war auch Pietro, der als erster die Verstreuung der Familie in ganz Europa begann, also noch vor Canalettos Abreise nach England 1746 und Bellottos Ruf nach Dresden im Jahre 1747. Bereits um 1745 muss Pietro seine zukünftige Frau in Genua getroffen, und kurze Zeit später mit ihr und den gemeinsamen Kindern Frankreich als Hauptwohnort erwählt haben. Wie seine Verwandten begann er bald nach der Ankunft in Frankreich ebenfalls ein reisefreudiges Dasein zu führen. 1755 und 1756 arbeitete er in Nante, wo er auch 1768 noch einmal erwähnt wird, 1761 war er in Besançon und 1778–79 arbeitete er in Lille.
Mehrere Quellen haben überliefert, dass er eine Art „Lichtvorführung“ präsentierte, welche anhand von bemalten Folien ‚die schönsten Ansichten Europas, wie Venedig, Rom, Florenz, Mailand, Turin, London, Versailles, Straßburg, mehrere Seehäfen und andere Darstellungen antiker und moderner Architektur’ zeigte. Besonders interessant hierzu ist ein 1754/5 in Paris veröffentlichtes Flugblatt, welches diese Vorführung von ’Le Sieur Canalety, Peintre Venitien’ bewarb. Pietro zeigte also – ebenfalls wie sein Bruder Bernardo – keinerlei Zurückhaltung dabei, den Namen und Ruhm des berühmten Onkels zu verwenden. Auch wenn er Gemälde signierte, verwendete er normalerweise die Form ’Bellotti d[it] Canalet[t]i’.
Der Künstler verbrachte zwischen 1762 und 1767 mehrere Jahre ohne seine Familie und ohne seine Lichtvorführungen in London. Dort schuf er zwei seiner herausragendsten Werke: ‚The Courtyard of the Royal Exchange, London’ (The Mercers’ Company, London), und ‚Warwick Castle from the South’ (Yale Center for British Art, New Haven). Pietro Bellotti wurde das letzte Mal im Jahre 1776 in Toulouse dokumentiert und starb um 1800 in Frankreich.

Vorliegendes Gemälde, die einzig bekannte Wien-Vedute des Künstlers, sowie ein Pendant „Der Molo in Venedig nach Westen blickend mit dem Dogenpalast“ sind stilistisch, thematisch und in der Größe nahe verwandt zu Bellottis Serie von 17 Ansichten und Capricci, welche sich ehemals in der Sammlung des Marquis de Beaumont auf Château de Merville, bei Toulouse, befanden. Mehrere der Gemälde dieser Serie tragen auf der Rückseite Inschriften aus dem 18. Jahrhundert, welche den Künstler als ‚Bellotti’ bezeichnen. Möglicherweise zeigen sie die Ansichten der Folien aus Bellottis Lichtvorführungen. Wie viele Vedutenmaler seiner Zeit bediente sich Bellotti wohl dabei auch der Druckgrafik, um an Vorlagen für seine Ansichten zu gelangen.
Die Inschrift am Keilrahmen der Graben-Ansicht (’Ms de St-M-M’) kann nur auf die Marquis de Saint-Mauris en Montagne verweisen; eine Familie aus der Nähe von Besançon in Ostfrankreich. Die große künstlerische Nähe des Gemäldes zu seinem Pendant und der Merville-Serie, welche 1765 erstmals genannt wird, spricht dafür, auch vorliegendes Werk mit Bellottis Aufenthalt in Besançon im Februar 1761 in Verbindung zu bringen und es damit um 1760 zu datieren.

Das Gemälde zeigt den sogenannten „Graben“ in Wien; eine der ältesten und heute noch bekanntesten Straßen- bzw. Platzanlagen der Stadt. Es verwendet denselben Bildausschnitt und Perspektive wie der 1719 von Joseph Emanuel Fischer von Erlach (1693–1742) und Johann Adam Delsenbach (1687–1765) veröffentlichte Kupferstich „Prospect des Wienerischen grünen Marckts, der Graben genannt“ (Abb. 1). Dieser „zeigt den Graben mit Blick aus der ehemaligen Grabengasse vom Elefantenhaus in Richtung Kohlmarkt, also von Osten nach Westen. In der Mitte des Platzes erhebt sich die Pestsäule (Dreifaltigkeitssäule aus Marmor), deren Errichtung Kaiser Leopold I. nach dem Abklingen der großen Pestepidemie 1679 gelobt hatte. Flankiert wird die Säule von zwei Röhrenbrunnen, die zwar bereits seit 1455 bzw. 1561 bestanden hatten, deren ursprüngliches Programm allerdings nachträglich, auf Grund der unmittelbaren Nachbarschaft zur Dreifaltigkeitssäule, mit Statuen der Heiligen Joseph und Leopold „christianisiert“ wurde.“ (Anna Mader, Der Graben, in: Hellmut Lorenz und Huberta Weigl (Hg.), Das barocke Wien.
Die Kupferstiche von Joseph Emanuel Fischer von Erlach und Johann Adam Delsenbach (1719), Petersberg 2007, S. 91ff.)

Im Hintergrund, den Graben nach Westen abschließend, sind das ‚Rondellenhaus’ mit Rundtürmen an den Ecken und das die Apotheke zum „Zum Goldenen Hirschen“ beheimatende ‚Hirschenhaus’ zu erkennen. Zweiteres diente in der Vergangenheit durch seine prominente Positionierung bei Feierlichkeiten zur Anbringung von Schaugerüsten. Die kleine Häuserinsel – quasi vor der Kreuzung zum Kohlmarkt – wurde im 19. Jahrhundert abgebrochen und ist heute nicht mehr existent. Das Erscheinungsbild der in den Vordergrund führenden Häuserzeilen ist von barocken oder barockisierenden Fassaden geprägt. Rechts werden sie von der Kuppel der Peterskirche überragt, deren Neubau 1701 begonnen hatte.
Der ‚Freisingerhof’ davor ist das einzige Gebäude, welches noch vom mittelalterlichen Baubestand zeugt. Seit dem 12. Jahrhundert besaßen die Bischöfe von Freising den Grund und nutzten das aus mehreren kleinen Häusern zusammengewachsene Bauwerk als Wohnquartier, wenn sie sich in Wien aufhielten. 1773 erwarb Johann Thomas Trattner den Grund und ließ darauf den sogenannten ‚Trattnerhof’ errichten. Ganz am vorderen Bildrand rechts ist das Haus zum ‚Zum Schwarzen Elefanten’ zu erkennen, welches einst den Ostabschluss des Grabens bildete (Abb. 3). Das originelle Hauszeichen eines Reliefs mit Elefanten und entsprechender Inschrift verwies auf den Einzug Erzherzog Maximilians. Aus Spanien 1552 zurückgekehrt brachte dieser in seinem Tross erstmals einen Elefanten mit in die österreichische Heimat.
Dafür, dass auch für Pietro Bellotti der Fischer/Delsenbach-Stich eine der bekannten Motivvorlage zu seiner Graben-Ansicht sein musste, spricht, dass das ganz links im Vordergrund dargestellte „Palais Bartolotti-Partenfeld“ noch vor dem 1720 erfolgten Umbau durch Johann Lucas von Hildebrandt gezeigt wird. In dem um 1725 ausgeführten Stich von Salomon Kleiner, welcher dieselbe Grabenansicht mit einer Parade darstellt (Abb. 2), besitzt das Gebäude bereits ein Geschoss mehr und überragt das dahinter gelegene Bauwerk, welchem bereits ebenfalls die noch bei Fischer/Delsenbach gezeigten Wasserspeier abgenommen wurden. Pietro Bellotti muss seine Kenntnis über die Kaisermetropole, wenn schon nicht durch eigene Ansicht – eine Wien-Reise konnte zumindest bislang nicht belegt werden – , jedoch auch aus anderen zeitgenössischen Quellen geschöpft haben. Dies zeigt die Gestaltung der beiden Brunnen. So wurde beispielsweise 1733 das Gitter des Leopoldsbrunnen entfernt (Felix Czeike, Der Graben, Wien/ Hamburg, 1972, S. 103). Diese Veränderung gegenüber der Fischer/Delsenbach-Ansicht zeigt auch ein Stich von Georg Christoph Kriegl, welcher 1740 den Erbhuldigungszug Maria Theresias über den Graben dokumentiert.

Auch bezüglich der Staffage differiert Bellotis Gemälde völlig. Er löst sich von der vorher überlieferten Üppigkeit eines von Menschen überfüllten Platzes. In gekonnter Reduktion, und dennoch alle das Stadtleben prägende Schichten darstellend, belebt er die Ansicht. In perfekt kombinierter Abwechslung von Leere und Fülle positioniert er auf dem Platz seine Figuren in der erlernten, typisch venezianischen Manier.

Diese Mitte des 18. Jahrhunderts entstandene Ansicht des Grabens ist eine äußerst seltene in Öl ausgeführte Darstellung eines bedeutenden Wiener Stadtplatzes. Sie stellt damit nicht nur ein historisches Dokument von großer Seltenheit dar, sondern besticht vor allem durch das der Canaletto-Familie charakteristische Spiel mit Licht, Schatten und Farbe, in welcher der Betrachter die vermeintliche Kühle der Luft in Blaugrüntönen und die Wärme der Sonnenstrahlen in wohligen bräunlich-rötlichen Tönen wahrhaftig zu spüren scheint.