Auktionshaus

Auktion: Klassische Moderne

13. Mai 2014, 17:00 Uhr

0066

Herbert Boeckl*

(Klagenfurt 1894 - 1966 Wien)

„Kleiner Akt (auf Stuhllehne)“
1919
Öl auf Leinwand
85 × 64 cm
Rückseitig am Keilrahmen von fremder Hand bezeichnet: Knabenakt - Böckl
Originalrahmen

Provenienz

1921 ausgestellt bei der Kunstschau im Künstlerhaus Wien, dort nach Aufzeichnungen Herbert Boeckls "verschwunden"; seit den 1920er Jahren Privatbesitz, Wien; 2008 vom gegenwärtigen Eigentümer erworben (österreichischer Privatbesitz).
Das Gemälde sollte bereits 2008 versteigert werden; der Eigentümer musste hierüber jedoch einen langwierigen Prozess austragen, den er erst vor kurzem erfolgreich beenden konnte.

Ausstellung

1921 Wien, Künstlerhaus (Kunstschau, 09. 04. - 05. 06.), Kat.-Nr. 7

Literatur

Claus Pack, Der Maler Herbert Boeckl, Wien / München 1964, WV-Nr. 8; Gerbert Frodl, Herbert Boeckl, mit einem Werkverzeichnis der Gemälde von Leonore Boeckl, Salzburg 1976, S. 169, WV-Nr. 18 (sw-Abb., Titel: "Kleiner sitzender Akt", falsche Maßangabe); Agnes Husslein-Arco (Hg.), Herbert Boeckl. Retrospektive, Katalog mit Werkverzeichnis der Ölbilder, Skulpturen, Fresken und Gobelins, Belvedere Wien, 21. 10. 2009 - 31. 01. 2010, WV-Nr. 32 (falsche Maßangabe), Abb. S. 108 und 339

unveränderter, ursprünglicher Zustand.
Es ist zu erwarten, dass das Gemälde nach fachmännischer Restaurierung viel farbkräftiger wird.

Schätzpreis: € 150.000 - 300.000
Auktion ist beendet.

Ein weiblicher Akt lehnt an einer spärlich angedeuteten Sitzmöglichkeit, das linke Bein ist leicht abgewinkelt, die Arme schmiegen sich an den Körper, der Blick scheint nachdenklich und leicht nach unten gesenkt. Die Raumsituation ist nicht genau definiert, mit wenigen Linien ist das Wesentliche angedeutet, kräftiges Kolorit setzt Akzente, jedoch ohne Gegenstandsbezug; nur einzelne Partien der menschlichen Figur sind farblich betont. Durch lose und abstrahierende Verwendung gleicher oder ähnlicher Farben im Umraum verschmilzt der Akt mit dem Hintergrund.

Das Gemälde gehört zu einer „Reihe“ von vier heute bekannten Ölbildern des Kärntner Malers Herbert Boeckl aus dem Jahre 1919, die sich auffallend von dem zuvor Geschaffenen und dem Nachfolgenden unterscheiden. Zu dieser „weißen Phase“ zählen neben dem genannten Werk der "Liegende Frauenakt (Weißer Akt)" (WV 31), das "Bildnis M. B." (WV 33) sowie das "Portrait Johannes Lindner (Weißes Porträt)" (WV 35).

Der 25jährige Herbert Boeckl befand sich 1919 in einer künstlerischen Experimentierphase. Nach anfänglichen Versuchen in Anlehnung an Werke österreichischer Maler des 19. Jahrhunderts hatte Boeckl schon vor seiner Wiener Studienzeit (ab 1912 Architektur; als Maler Autodidakt) symbolistische und postimpressionistische Einflüsse aufgegriffen. Diese gab er zugunsten expressionistischer Tendenzen auf, die Einflüsse von Oskar Kokoschka, Egon Schiele und der Neukunstgruppe aufweisen. Ausstellungen der frühen Jahre wie jene der Neukunstgruppe 1909 im Salon Pisko oder die skandalträchtige Schau derselben im Februar 1911 (mit Kokoschka als Gast) in den Räumen des Hagenbundes dürften an Boeckl nicht ganz spurlos vorüber gegangen sein, zumal zahlreiche Pressemeldungen über die „schockierende“ Ausstellung berichteten.

Herbert Boeckl, durch und durch Maler, widmete auch dem zeichnerischen Metier besondere Aufmerksamkeit. Er schuf unzählige Aquarelle, Kohle- und Bleistiftzeichnungen, dessen Wichtigkeit er stets betonte. Souverän und mit Originalität bewegte sich der Künstler auf diesem Gebiet; das Wesentliche wurde festgehalten, die Linien sind scheinbar spontan gesetzt, mit großer Sicherheit und teilweise abstrakten Tendenzen. Neben Schiele könnten der Linienkult des Jugendstils und die Arbeiten von Wassily Kandinsky Impulsgeber gewesen sein, die Boeckl zumindest aus Zeitschriften gekannt haben muss. Reger Informationsaustausch fand zudem unter der Kärntner Künstlerschaft statt. Boeckl verkehrte v. a. mit Felix Esterl, Arnold Clementschitsch, Anton Kolig oder Franz Wiegele.
Diese zeichnerischen Qualitäten stehen in engem Zusammenhang mit der „weißen Phase“, deren unmittelbarer Auslöser im Unklaren bleibt. Das Kriegsende 1918 drängt sich als mögliche Ursache auf, Leichtigkeit und Vitalität brechen auf, werden aber bald in der immer schwereren Farbmasse zurückgenommen.

Um 1919 entstanden zahlreiche Zeichnungen und Aquarelle, bei denen eine abstrahierend-freie graphische Textur aus Bogenstrichen vorherrscht. Vergleicht man diese mit den Gemälden des „weißen Intermezzos“ wird offenkundig, dass Boeckl hier seine zeichnerischen Qualitäten auf die Leinwand übertrug. So mögen sich die Betitelungen "Weißes Porträt" und "Weißer Akt", die übrigens von Boeckl selbst stammen, nicht nur auf den hellen Hintergrund beziehen, sondern auch auf das Blatt Papier, dessen eigene Qualitäten auf der Leinwand „nachgeahmt“ werden - Boeckl zeichnete mit dem Pinsel.
Franz Ottmann brachte diesbezüglich 1920 Johannes Itten ins Spiel. Itten hielt sich von 1916 bis 1919 in Wien auf. Wesentliches Anliegen des ehemaligen Adolf Hölzel-Schülers waren die primären bildnerischen Mittel des künstlerischen Ausdrucks wie Linie, Form, Hell-Dunkel und Farbe sowie deren gute Proportion, Formverhältnisse und Verteilung; jene Aspekte, die auch bei Boeckls „weißer“ Phase eine wesentliche Rolle spielen. Am 19. Februar 1919 notierte Itten über einer mit wenigen schwungvollen Linien stehenden Figur in seinem Tagebuch: „Ich habe, wie mir scheint, eine Lösung gefunden für das Darstellen der inneren Bewegung in einem Akt“. Auch Boeckl malte „geöffnete“, teils transparente Körper mittels eines offenen Liniengeflechtes, als wolle er damit innere Bewegtheit und Emotionalität vermitteln. Die Personen selbst bleiben stilisiert. Es ist nicht bekannt, ob Boeckl mit der Lehre Ittens in Kontakt kam, aber es wäre durchaus möglich.

Vorstudien zum "Kleinen Akt", wie der "Sitzende weibliche Akt" oder der "Stehende Frauenakt" in der Albertina zeigen – schon durch die Körperhaltung – eine in sich gekehrte Person, „beruhigte“ Linien erfassen das Wesentliche, brechen an einzelnen Stellen auf, Betonung entsteht durch Verwischungen und Hervorhebung einzelner Bereiche durch fleckigen Einsatz der Kohle; dort, wo auch Boeckl teilweise im Bild die Farbakzente setzte. Der "Sitzende Akt" kommt der Ausführung im Gemälde am nächsten, wenn auch am Papier seitenverkehrt, mit stärker gebeugtem Knie und gedrehtem Kopf.

Der "Kleine Akt" dieser Vierer-Gruppe ist am spärlichsten dokumentiert. In einer von Boeckl am 23. Jänner 1944 handschriftlich signierten Oeuvreliste wird der "Kleine Akt" angeführt und mit dem Vermerk versehen: „Verschwunden auf Kunstschau Wien 1921“. Die Schwierigkeiten beginnen schon damit, das Bild eindeutig als Objekt einer Ausstellung zuweisen zu können. Sowohl bei der Kunstschau 1921 im Künstlerhaus (Kat.-Nr. 7) als auch bei der Ausstellung in der Kunsthalle Bern ab 20. Februar 1921 (Kat.-Nr. 169-171) oder ein Jahr zuvor, in der Kunstschau 1920 (Kat.-Nr. 141, 142), die im Museum für Kunst und Industrie stattfand, könnte der Akt ausgestellt gewesen sein. Genau belegen lässt sich dies bis dato leider nicht. Die Wiederauffindung des "Kleinen Akts" nach knapp 90 Jahren war 2008 eine Sensation.
(Kerstin Jesse)