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Von vergangener Idylle und dem modernen Leben

31.03.2021 / Rudolf Wackers "Gasse"

Der Stil dieses Werkes scheint sich von jenem Pausers zu unterscheiden – weniger kühl, dafür lebendiger. Worin ist es trotzdem der neuen Sachlichkeit zuzuordnen?

Claudia Mörth-Gasser: In Wackers Bildern kam es Mitte der 1920er Jahre zum Übergang vom Expressionismus in die Phase der Neue Sachlichkeit. Er schuf seine Städtebilder oft als Ölstudien auf Malkarton; manchmal entstanden sie sogar im Freien. Dadurch sind sie freier, gestischer, so wie das vorliegende Werk. Mitunter hat er dasselbe Motiv dann im Atelier auf Holz gemalt, in altmeisterlicher Lasurtechnik.

Das Interesse für vernachlässigte, vom Zerfall bedrohte Orte teilt Wacker mit anderen Malern der Neuen Sachlichkeit.

Dient die Stadt als typisches Motiv in Wackers Schaffen?

Barbara Berger: Ja, er hat immer wieder Motive aus Städten seiner Umgebung aufgegriffen. Allerdings interessiert er sich nicht für das bunte Treiben dort, sondern im Gegenteil für die verlassenen Winkel. Damit thematisiert er die vergangene Idylle und weist auf das Verloren-Sein in der modernen Welt hin.

CMG: Seine Städte sind meist menschenleer, daher ist die Figur – ein Kind - in diesem Bild eher ungewöhnlich und als Identifikationsfigur für den Betrachter gedacht. Wie bei Pauser ist auch Wackers Figur reglos und wirkt puppenhaft. Sie steht für die Entfremdung des modernen Lebens und betont den unheimlichen Aspekt einer fragil gewordenen Welt.

An welchen Details sieht man die Desillusionierung und Einsamkeit, mit der diese Malergeneration zu kämpfen hatte?

CMG: Wichtige Details sind etwa das Abbröckeln der Mauer und die beschädigten Fassaden in dem Bild. Sie stehen für die Vergänglichkeit des Seins, das Vergehen der Zeit. Das rot gekleidete Kind bringt wiederum den Aspekt des Rätselhaften. Auch das ist ein typisches Merkmal der neuen Sachlichkeit: die Bilder sind symbolträchtig und geben dem Betrachter Rätsel auf.

Verarbeiteten die österreichischen Künstler diese Zeit anders als die deutschen?

CMG: In Deutschland gab es mit Otto Dix und George Grosz zwei Künstler, deren Bilder beißend-provokativ und offen gesellschaftskritisch sind. Die Österreicher sind zurückhaltender, teils subtiler, das melancholische Moment ist stark, und das Thema der Vergänglichkeit allgegenwärtig.

Welche Stimmung transportiert dieses Bild für Sie?

BB: Wehmut ist hier für mich das Stichwort, Sehnsucht nach einer besseren, aber vergangenen Zeit. Doch trotzdem sehe ich hier einen auch bildhaften Lichtblick: das bisschen Blau über den Dächern.

Die Zeit hat den Menschen eben auch Rätsel aufgegeben. Die Bilder regen immer zum Nachdenken, zum Sich-Hineinversetzen an. Das ist somit eine Kunst, die ihre Zeit vollkommen widerspiegelt.

(Alexandra Markl)