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Anja Wolf und Dr. Ernst Ploil im Gespräch über die Wiener Moderne

07.12.2020 / Jugendstil & Design

Anja Wolf und Dr. Ernst Ploil im Gespräch über die Wiener Moderne

Anja Wolf: Wir beide sind von der Koloman Moser Vase begeistert – wenn auch von verschiedenen Aspekten! Mich fasziniert die Verschiedenartigkeit der Glasur, das Spiel von Schattierungen an der Oberfläche, das Verrinnen der Farbe…

Dr. Ernst Ploil:  Mir gefallen diese senkrechten Schlitze: Sie erinnern mich an die Arbeiten von Lucio Fontana. Es ist, als wollte Moser dem Betrachter zeigen, dass er ihn nicht mit einem Oberflächendekor täuscht, sondern ihm die Räumlichkeit zeigt, indem er in das Material hineingräbt. Nach dem Motto: „Seht her, ich bin nicht nur ein Flächenkünstler, ich bewältige auch die Veranschaulichung des Raumes!“ Das ist Dreidimensionalität.

AW: Damit ist die Vase der Inbegriff von Wien um 1900 und dem Weg in die Moderne! Auch wenn sie das vielleicht auf den ersten Blick nicht verrät…

EP: Ja, oft sind revolutionäre Schritte optisch schwer zu erkennen.  Aber im Vergleich zu den bis dahin produzierten Keramiken ist die Vase unglaublich. Eine Abkehr von allem bisher Dagewesenen! Denn bis zu Mosers Berufung an die Kunstgewerbeschule bestand die Ausbildung dort nur im Abzeichnen von Artefakten, es gab dort unzählige Stückchen aus der Renaissancezeit und Schnörkel aus dem Barock.

AW: Und doch entstand unsere moderne Vase genau dort….

EP: Genau! In einem ganz wichtigen Entwicklungsschritt des Wiener Kunstgewerbes. Das hat auch der erste Eigentümer der Vase, Fritz Wärndorfer, erkannt: Er war im Jahr 1900 ein bekannter Kunstliebhaber und -Mäzen, etwas später auch Mitgründer der Wiener Werkstätte, ging allerdings 1912 bankrott. Aus seiner großen Kunstsammlung musste er viel – vor allem alles Teure - verkaufen, doch einige Lieblingsstücke hat er in die Emigration in die USA mitgenommen, darunter eben auch diese Vase.

 

Anja Wolf und Dr. Ernst Ploil im Gespräch über die Wiener Moderne

AW: Hat Wärndorfer sie in der Ausstellung der Kunstgewerbeschule entdeckt? Oder ist er durch seine Freundschaft mit Moser auf die Vase aufmerksam geworden?

EP: Damals gab es keine Berührungsängste zwischen Museen und Handel; im Gegenteil, die Kunstgewerbeschule hat die Entwürfe ihrer Schüler und Lehrer verkauft, und bei so einer Verkaufsausstellung hat Wärndorfer sie wohl gesehen.

Die Kunstgewerbeschule stellte die Keramiken selbst her. In der Portierloge der Schule wurde eine Töpferei installiert, und im 3. Bezirk gebrannt. Da konnten die Studenten selbst sehen, was aus ihren Keramiken wurde.

AW: Moser hat also lerning by doing eingeführt. Unter seiner Ägide wurde etwas Eigenes erzeugt, nicht nur kopiert. Das war eine völlig neue Art des Unterrichts. Statt nur Abzuzeichnen arbeitete man plötzlich in Eigenverantwortung mit eigenem Material!

EP: Mosers Idee war: Wir führen wieder zusammen, was sich durch die Industrialisierung getrennt hat, nämlich Entwerfer und ausführenden Handwerker.

AW:  Das war der Schritt in die Moderne!

EP. Genau! Das ist das Wien um 1900. Es geht um die Hochhaltung der Prinzipien des Gesamtkunstwerkes.

AW: Es unterstützten übrigens auch andere Firmen die Produktion der Kunstgewerbeschule: Bakalowits und Sturm zum Beispiel.

EP: Diese Firmen übernahmen die Produkte zur Ausführung und trugen die Kosten. Dafür durften sie die Entwürfe verwerten; und die Künstler partizipierten daran.

AW: Eine winwin Situation! Die Kunstgewerbeschule hat verdient, die Künstler bekamen ihre Entwürfe ausgeführt und - verdienten ebenfalls.

EP: Und nicht zu vergessen: Die ausführenden Unternehmer sicherten sich damit ultramoderne Entwürfe – und einen entsprechenden Ruf.

AW: Unsere Vase jedenfalls hat Kolo Moser selbst entworfen – im Katalog befindet sich der handgezeichnete Entwurf dazu. Wie viel er dabei allein, und wieviel mit seinen Schülern gemacht hat, lässt sich allerdings schwer sagen.

EP: Ich stelle mir das so vor – das ist jetzt bloße Hypothese - als hätte der Lehrer den Rohling von jemandem anderen töpfern lassen und dann das Muster selbst hineingedrückt.

AW: Das würde bedeuten, dass viele seiner Schüler mit ihm an dem Objekt gelernt haben. 

EP: Davon bin ich überzeugt – das war der Sinn der Sache! Der Altersunterschied zwischen Moser und seinen Studenten war außerdem gering, es ist sicher sehr kameradschaftlich zugegangen.

AW: Wir haben auch überlegt, ob die Vase ein Unikat ist…

EP: Das können wir nicht absolut sicher sagen. Aber es spricht viel dafür. Aufgetaucht ist von dieser ganzen Serie von fotografierten Keramiken nämlich nie ein zweites Stück.

AW: Es gibt nämlich ein Foto direkt aus dem Nachlass Kolo Mosers, auf dem Serie der unglasierten Rohlinge zu sehen sind. 

EP: Und das zeigt für mich, dass Moser die auf dem Foto zu sehenden Stücke als seine Werke angesehen hat.