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Auktion: Antiquitäten

27. November 2013, 17:00 Uhr

0205

Trauernder Johannes

„Trauernder Johannes“
Tirol, um 1400
Holz, rundplastisch gearbeitet, alte Fassung, beschädigt; Darstellung eines stehenden Heiligen (wohl der heilige Johannes), in seinen Händen hält er ein Buch vor der Brust; langes, fließendes, z. T. in Schüsselfalten gelegtes Gewand; sehr schön ausgeführte Rückenansicht; Sockelplatte später
H. 103 cm

Provenienz

Sammlung Dr. Rudolf Leopold, Wien; Privatbesitz Wien

Ausstellung

bis September 2013 Leihgabe im Bergbaumuseum Leogang/Salzburg

Literatur

Gotiksammlung Rudolf Leopold, Bergbaumuseum Leogang, Lindenberg i. A. 2011, S. 48-51, Kat.-Nr. 4

Schätzpreis: € 40.000 - 80.000
Auktion ist beendet.

"Der betrübt aufblickende Evangelist Johannes stammt aus dem Einzugsgebiet des Nordtiroler Wipptales und gehörte zu einer dreifigurigen Kreuzigungsgruppe. Da die Skulptur vollrund ausgearbeitet ist, stand sie wohl nicht in einem Schreingehäuse, sondern war Teil einer frei aufgestellten oder wandverbundenen Gruppe.
Der Heilige steht in leicht gebogener Körperhaltung unter dem Kreuz, umklammert mit beiden Händen sein vor die Brust gehaltenes Buch und schaut dabei treuherzig nach oben. Seine Trauer äußerst sich nur verhalten: in den schräg stehenden Augen, den hochgezogenen Brauen und den beiden Sorgenfalten auf der Stirn. Auffällig ist, dass der Kopf und der kurze Hals, aber auch die Hände mit dem Buch im Vergleich zu den schmalen Schultern ungewöhnlich groß geraten sind.
Gekleidet ist Johannes in einen langen Rock und einen eng um den Körper gelegten Mantel, der den rechten Arm fest umhüllt, zwei Schlüsselfalten ausbildet und über die Beuge des linken Armes körpernah herabfällt. Die Vorderansicht der Figur und die ähnlich konzipierte Rückseite wirken daraufhin sehr geschlossen, doch fehlt es an vermittelnden Faltenzügen, die um die schmalen Profile herumleiten würden. Darin liegt etwas Vorsichtig-Tastendes, was dem Ausdruckscharakter merkwürdigerweise entspricht. Es kommt dabei aber auch zu einer Kombination von älteren und jüngeren Stilelementen. Denn an der rechten Körperseite wirkt die von dünnen Faltenstegen eingeschnürte Figur altertümlicher als an der linken, wo sie mit der knappen Faltenkaskade Anschluss gefunden hat an die Gestaltungsprinzipien des Weichen Stils.
Gut vergleichbar ist eine in Nordtirol zu lokalisierende trauernde Maria in Berlin (um 1410/20; siehe dazu: Ulrich Söding, Gotische Skulptur, in: Paul Naredi-Rainer/Lukas Madersbacher (Hg.), Kunst in Tirol, Bd. 1, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, S. 225, Abb. 11). Ein untrügliches Zeichen für die Verwurzelung in Tirol sind aber auch die um das Buch herumgebogenen Finger des Johannes. Ganz ähnlich gibt es das schon um 1330 bei der Verkündigungsmaria der Burg Aufenstein und beim Johannes der Triumphkreuzgruppe im Schloss Tirol (siehe dazu: ebd., Nr. 139f.; Ulrich Söding, Gotische Kruzifixe in Tirol, Berlin/München 2010, Nr. 3). Dieses Denken in einfachen Kuben äußert sich ferner am Haupt des Johannes und im Detail sogar an der kräftig vorspringenden Nase. Die kranzartig abstehende Frisur mit ihren Riffelungen hat dagegen fast etwas Gemeißeltes und bietet als einzige Bereicherung eine Lockentolle über der Stirn."
(Ulrich Söding, in: Gotiksammlung Rudolf Leopold, Bergbaumuseumsverein Leogang, Lindenberg i. A. 2011, S. 48-51)