Auktionshaus

Auktion: Zeitgenössische Kunst

09. Dezember 2022, 15:00 Uhr

2216

Günter Brus

(Ardning 1938 - 2024)

„o.T.“
1962
Mischtechnik, Tusche auf Papier; gerahmt
45 x 63 cm
Signiert und datiert rechts unten: brus 62
Fehlstellen und Knicke im Blatt vom Künstler intendiert.

Provenienz

in den 60er-Jahren direkt vom Künstler erhalten;
seither österreichischer Privatbesitz

Schätzpreis: € 50.000 - 100.000
Ergebnis: € 120.000 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

Als Hauptvertreter des Wiener Aktionismus wurde Günter Brus neben Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler in den Sechziger Jahren international bekannt. Mit radikalen Performances und provokativen Gesten brachen die jungen Wilden mit dem traditionellen Kunstverständnis. Tabus und Grenzen kannte Brus kaum. Legendär ist sein Wiener Spaziergang im Jahr 1965, der Brus in ein lebendiges Gemälde verwandelte und ihn zu einem frühen Vertreter der Body-Art machte. Die vorliegende Grafik zählt zu Brus‘ Frühwerk von 1962 und zeigt noch den Einfluss des Informel und des Abstrakten Expressionismus eines Jackson Pollocks. Nach dem Besuch der Kunstgewerbeschule Graz ging Brus nach Wien, wo er ab 1958 Malerei an der Akademie für angewandte Kunst studierte. Angeregt von der documenta II in Kassel (1959) und der XXX. Biennale in Venedig (1960) wandte sich Brus Anfang der Sechziger einer gestisch-informellen Kunst zu. Wichtig für ihn war damals die enge Freundschaft zu dem Künstler Alfons Schilling, mit dem Brus 1960 auf Mallorca lebte und wo sie mit den abstrakt-expressionistischen Bildern der US-Künstlerin Joan Merritt in Berührung kamen. Das Geld und Arbeitsmaterial begrenzt waren, entstanden viele Zeichnungen auf Backpapier. Zurück von der spanischen Insel begann Brus mit Tusche auf Papier zu arbeiten. Viele seiner Bilder entstanden direkt am Boden, er drehte und wendete seine Blätter, sodass es teilweise zu Rissen am Papier kam. Brus versuchte „den physisch fühlbaren Prozess in einen psychisch sichtbaren umzusetzen.“ Das kann man auch in der vorliegenden Arbeit beobachten. Im wilden Gestus nähert sich Brus einer von Gefühlen und Reflexen geleiteten Kunst, die von Spontanität und Expressivität geprägt ist. Der impulsive und intuitive Akt dominiert in diesem frühen Blatt, wobei Brus bewusst auf räumliche Tiefe verzichtete. Bildzentrum und Tiefenillusion werden zugunsten einer abstrakt-expressiven Formensprache eliminiert. Dabei beschränkt sich der Künstler auf eine reduzierte Farbwahl im dominanten Schwarz, kombiniert mit roten Farbakzenten. Das Blatt zeigt eindrucksvoll Brus‘ Auseinandersetzung mit dem Informel und der internationalen Avantgarde, wobei Brus hier zu einer autonomen Bildsprache fand, die lyrische und gestische Momente zu einer harmonischen Synthese vereinte.

(Stefan Üner)