Auktionshaus

Auktion: Jugendstil & Design

30. November 2018, 15:00 Uhr

0112

Josef Hoffmann

(Pirnitz 1870 - 1956 Wien)

„Kaminuhr für Yella Hertzka“
Wiener Werkstätte, 1912
Alpacca, versilbert; frontseitig am Sockel graviert: "DER FRAU YELLA HERTZKA / PIONIERIN IM KAASGRABEN", "DIE DANKBAREN FAMILIEN / BOTSTIBER DRUCKER KÜPPER / MICHEL VETTER WELLESZ 1913"; rückseitig am Sockel gemarkt: Rosenmarke, "WIENER/WERK/STÄTTE", Entwerfermonogramm "JH"; funktionstüchtiges Uhrwerk: Lenzkirch AG; weiß emailliertes Zifferblatt mit römischen Ziffern; Uhrenschlüssel (nicht original)
20,2 x 23,4 x 12,3 cm

Provenienz

1913 Geschenk der ersten Bewohner der Villenkolonie im Kaasgraben an Yella Hertzka (1873-1948) (lt. Widmung);
um 1934 Geschenk der Yella Hertzka an ihre Lebensgefährtin, die Komponistin Maria Hofer (1894-1977);
seit Anfang der 1970er Jahre im Eigentum der Familie der Einbringer

Literatur

Wiener-Werkstätte-Archiv, MAK Wien, "Stehuhr" Modellnr. M 2030, WWF 98-68-2, KI 12161-18;
im Modellbuch WWMB 35 (M7) ist die Uhr als Einzelstück angeführt, Rechnungsdatum vom 18.7.1912

Schätzpreis: € 50.000 - 80.000
Auktion ist beendet.

Im Allgemeinen beeinträchtigen Inschriften oder Widmungen, noch dazu wenn sie in ein Kunstwerk eingraviert sind, dessen Wert. Bei unserer Uhr trifft aber das Gegenteil zu. Die Inschrift lautet:
"DER FRAU YELLA HERTZKA
PIONIERIN IM KAASGRABEN
DIE DANKBAREN FAMILIEN
BOTSTIBER - DRUCKER - KÜPPER
MICHEL - VETTER - WELLESZ - 1913"
Sie bezieht sich mit knappen Worten auf die „Villenkolonie der Wiener Werkstätte“ im Wiener Nobeldistrikt Kaasgraben und auf das Wirken einer für Wien, die nationale und internationale Frauenbewegung bedeutenden Person – Yella Hertzka. Die Inschrift ist zweifellos mit Willen und unter Aufsicht Josef Hoffmanns in den Sockel der von ihm entworfenen Uhr eingraviert worden. Sie macht unsere Uhr zu einem Zeitdokument von großer historischer, kultureller und sozialer Bedeutung, die auch das persönliche Verhältnis der Bewohner der „Kaasgrabenkolonie“ untereinander veranschaulicht:
Yella Hertzka wurde als eines von mehreren Kindern ihrer jüdischen Eltern Ferdinand Fuchs und Agnes Tedesco am 04.02.1873 geboren. Sie absolvierte Schulen in Wien und eine gärtnerische Ausbildung an der rheinischen Obst- und Gartenbauschule für Frauen in Godesberg, Deutschland. 1897 heiratete sie Emil Hertzka, den Inhaber des Musikverlages Universal Edition. 1912 gründete sie auf Liegenschaften, die ihr und ihrem Mann gehörten, eine „höhere Gartenbauschule für Mädchen“, in der sie selbst mehrere Fächer unterrichtet und die sie bis zu ihrer Vertreibung durch die Nazis im Jahr 1938 geleitet hat. Die Ausbildung und Emanzipation von Frauen war ihr ihr Leben lang ein besonderes Anliegen: Schon 1903 wirkte sie an der Gründung einer Privatschule, die von Salome Goldman geleitet worden ist, mit; ebenso an der Gründung des Bundes österreichischer Frauenvereine, in dem sie die Kommission für Gartenbau und Kleintierzucht geleitet hat. Gleichfalls im Jahr 1903 mitbegründet hat sie den „Neuen Wiener Frauenklub“, als dessen Präsidentin sie 1909 bis zu ihrer Vertreibung wirkte. Ab 1921 fungierte sie als Präsidentin der österreichischen Sektion der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, sie organisierte auch dessen 1921 in Wien abgehaltenen internationalen Kongress. 1939 musste Yella Hertzka nach Großbritannien emigrieren, wo sie sich gleichfalls in der internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit engagierte. Kurz nach dem Krieg kehrte Frau Hertzka nach Wien zurück, erhielt die Universal Edition und ihre Liegenschaften restituiert, starb aber kurze Zeit danach, im Jahr 1948.

Im Juli 1912 hat die Stadt Wien einen Verbauungsplan genehmigt, aufgrund dessen eine große, Yella und Emil Hertzka gehörende, im 19. Wiener Gemeindebezirk gelegene Liegenschaft in mehrere kleine zur Verbauung bestimmte Grundstücke geteilt werden durfte. Diese Grundstücke liegen an der Kaasgrabengasse und der Suttingergasse, in damals gänzlich unverbautem Gebiet. Die im Auftrag von Yella und Emil Hertzka von Josef Hoffmann verfassten Einreichpläne für alle acht zu der „Villenkolonie Kaasgraben“ gehörenden Häuser sind im Jahr 1912 bewilligt, die Häuser nach etwa einjähriger Bauzeit im Lauf des Jahres 1913 fertiggestellt worden. Yella Hertzka und ihr Mann haben sie auf ihre Kosten planen und errichten lassen. Bei der Innenraumgestaltung, die gleichfalls von Josef Hoffmann und der Wiener Werkstätte kam, hatten die späteren Eigentümer aber – freilich nur, soweit Hoffmann dies gestattete – freie Hand. Gekauft haben die Häuser: Dr. Hugo Botstiber (Kaasgrabengasse Nr. 30), Dr. Adolf Drucker (Kaasgrabengasse Nr. 36), Dr. Egon Wellesz (Kaasgrabengasse Nr. 38), Dr. Leo Sokolowski (Suttingergasse Nr. 12), Ing. Hans Küpper (Suttingergasse Nr. 14), Dr. Adolf Vetter (Suttingergasse Nr. 16) und Robert Michel (Suttingergasse Nr. 18). Das Haus in der Kaasgrabengasse 32 behielten sich Yella und Emil Hertzka selbst.
Über den Stil, in dem die Villen gehalten sind, schreibt Eduard Sekler: „[...] man sieht an vielen Einzelheiten eine Umdeutung klassischer Details. Es handelt sich um einen Vorgang, bei dem zwar ein klassisches Zitat noch erkennbar, formal aber weitgehend umgedeutet, ja verfremdet ist. Diese Verfahrensweise ist bezeichnend für Hoffmanns Art, einen historischen, wortgetreuen Klassizismus zu vermeiden bzw. dem alten Formenschatz durch Vereinfachungen, Auslassungen, Transformationen und Metamorphosen aller Art neue Anwendungsmöglichkeiten abzugewinnen. Auch das flache Kannelieren ausgedehnter Wandflächen gehört hierher. Die Vertikale seichte Flächenkannelierung ist ein Lieblingsmotiv des Architekten, das er [...] bei der Villenkolonie Kaasgraben anwendet.“ (aus: Eduard Sekler, Josef Hoffmann, Das architektonische Werk, Salzburg/Wien 1982, S. 140-142, WV 167, S. 350-354)

Emil Hertzka war Direktor des größten und modernsten Österreichischen Musikverlages, der Universal Edition, er nahm daher im Wiener Musikleben eine zentrale Position ein. Künstler wie Alban Berg, Arnold Schönberg, Anton von Webern, Bela Bartok und Egon Wellesz wurden von ihm vertreten. Darauf ist auch zurückzuführen, dass der Komponist Egon Wellesz und der Generalsekretär des Konzerthauses, Hugo Botstiber, zu der „Kolonie“ gehörende Häuser gekauft haben.
Die zeitgenössische Bezeichnung der Kaasgrabenhäuser als „Villenkolonie“ veranschaulicht, dass ihre Errichtung für Wiener Verhältnisse die Einführung einer völlig neuen Wohnform dargestellt hat, eine Form, die zwar in England gebräuchlich, in Mitteleuropa aber ungewöhnlich gewesen ist.

Dass Yella und Emil Hertzka nicht etwa ihre große Liegenschaft gewinnbringend verwerten, sondern dass sie beträchtliche Mittel eingesetzt haben, um Freunden und Bekannten ein Wohnen auf hohem architektonischen und kulturellen Niveau – nach englischem Vorbild – zu ermöglichen, war es, wofür sich die Auftraggeber unserer Uhr bedankt haben. Das war aber, wie gesagt, nur eine der vielen philanthropischen Unternehmungen der Yella Hertzka. Ihrer Bedeutung für die Frauenbewegung und für ihre Heimatstadt hat die Regierung Wiens Rechnung getragen, indem sie im Jahr 2015 einen großen Park nach ihr benannt hat.

Auf unsere Uhr passt genau das von Eduard Sekler zu der Villenkolonie Gesagte: Sie ist in dem in der Zeit von 1908 bis 1913 Hoffmann eigenen neoklassizistischen Stil gehalten und mutet, wie ein stark verkleinertes Bauwerk, das sparsam verziert ist und in seinem Zentrum ein großes rundes Fenster aufweist, an. Mit Sicherheit hat Hoffmann Stilelemente, die bei den Villen zum Einsatz gekommen sind, auch bei der Uhr verwendet. Ganz im Sinne der sein Schaffen beherrschenden Gesamtkunstwerk-Idee: Der Architekt, der für eine Bauherrin mehrere Häuser konzipiert, entwirft im Auftrag der Bewohner dieser Häuser, ein Geschenk, das wie ein Modell eines Hauses aussieht und als dazu passender Einrichtungsgegenstand des Hauses der Bauherrin bestimmt ist. (Ernst Ploil)