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„Zwei Fechtszenen mit dem Dolch, jeweils ein Kämpferpaar recto und verso“
um 1490-1510
Feder in Braun, aquarelliert, auf Pergament, gerahmt
14,3 × 12,7 cm
Wir danken Herrn Dr. Rainer Welle für die Hilfe bei der Katalogisierung des Blattes und die Erstellung des Katalogtextes.
Schätzpreis: € 8.000 - 16.000
Meistbot: € 10.000
Auktion ist beendet.
Aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind bis heute etwas über 80 Fecht- und Ringkampfhandschriften bekannt, die im Auftrage und unter Anleitung von Fechtmeistern erstellt wurden. Sie gehören zu den wichtigsten Text- und Bildzeugen frühneuhochdeutscher wissensvermittelnder Literatur und geben u. a. einen wichtigen Einblick in spätmittelalterliche Lebenswelten und Alltagswirklichkeit.
Die beiden Kampfszenen haben ihren Urheber in dem Fechtmeister Paulus Kal. Dessen genauen Geburts- und Todesdaten sind unbekannt, dennoch gilt er als der biografisch am besten dokumentierte Kampfspezialist des 15. Jahrhunderts. Kal stand Zeit seines Lebens als Schirm- bzw. Fechtmeister in Diensten des Hochadels: Bis etwa 1479 diente er dem Herzog von Bayern-Landshut, Ludwig IX., genannt der Reiche. Ab 1480 war er in Diensten des Habsburgers Erzherzog Siegmund von Tirol.
Bis heute sind fünf Fecht- und Ringkampfhandschriften von Paulus Kal bekannt, von denen mindestens vier unter seiner Anleitung entstanden. Eine – die Handschrift Cgm 1507 aus den Jahren um 1470 – widmete er mit Bildbeleg seinem Gönner Ludwig IX. und dokumentiert darin wohl die Waffenausbildung dessen heranwachsenden Sohnes Georg. Kal tradiert in seinen Handschriften ein mehr oder weniger starres Bildprogramm, das in all seinen Handschriften wiederholt wird. Unterschiede bestehen lediglich in der Kolorierung, der Kleidung der Fechter und der altersbezogenen Darstellung des einen Kämpfers, in der sich Kal in jeder seiner Handschriften selbst darstellen lässt. So ist auf dem Pergamentblatt der jeweils links stehende Kämpfer als der junge Paulus Kal zu identifizieren. Als solcher wird er ansonsten nur noch in zwei der fünf erhaltenen Handschriften porträtiert. Beide sind allerdings nur fragmentarisch erhalten. Es handelt sich hierbei zum einen um die älteste, um 1450 zu datierende, in Bologna lagernde Pergamenthandschrift Paulus Kals und zum anderen, um die in Solothurn lagernde Papierhandschrift aus den Jahren um 1505, eine getreue Kopie der Bologna-Handschrift. Beide Handschriften unterscheiden sich in ihrem fragmentarischen Status.
Die beiden Federzeichnungen besitzen stilistisch und hinsichtlich der Kolorierung die größte Nähe zur Solothurner-Handschrift und repräsentieren die künstlerisch ausgereifteste Leistung aller fünf erhaltenen Handschriften. Auch wenn Kleidungsdetails in die Mitte bzw. zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts verweisen, so heißt dies in diesem Falle nur, dass eine entsprechende Vorlage getreu kopiert wurde. Gegen eine Datierung bereits um die Mitte des 15. Jahrhunderts spricht auch die außergewöhnlich individuelle und gelungene Zeichnung der Gesichter. Im 15. Jahrhundert erstellten in der Regel kaum bekannte Holzstecher und Spielkartenmaler die künstlerisch wenig anspruchsvollen Illustrationen. Das Grobe, Handwerkliche ist den meisten Zeichnungen aus dieser Zeit inhärent. Eine solche zeichnerische Könnerschaft wie auf dem Pergamentblatt findet sich jedenfalls in keiner Fecht- und Ringkampfhandschrift des 15. Jahrhunderts. Erst mit der Wende zum 16. Jahrhundert widmeten sich dann auch renommierte Künstler wie Dürer, Cranach etc. diesem Genre und gestalteten künstlerisch aufwändigere Illustrationen. Eine Datierung um 1510 erscheint deshalb realistisch.
Der Forschung ist bis heute die Existenz dieses Blattes und die künstlerische Qualität, mit der man sich dem Werk Pauls Kals widmete, unbekannt. Da die beiden Kampfszenen auch in der Vorlage in dieser Reihenfolge dargestellt werden, scheint das Blatt wohl einer inzwischen aufgelösten weiteren, bis heute unbekannten Handschrift entnommen worden sein. Vor dem aufgezeichneten Hintergrund ist dieses Pergamentblatt, nicht zuletzt wegen seiner zeichnerischen Qualität, ein Unikat und von besonderer Bedeutung. (Dr. Rainer Welle)