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Marc Chagall*
(Witebsk 1889 - 1985 Saint-Paul de Vence)
„Der Dompteur (aus: Le Cirque, Blatt 15)“
1967
Farblithografie auf Papier
42 × 32 cm (Blattgröße)
Rückseitig Mourlot Nr. 504
250 Exemplare auf Vélin d'Arches
20 Exemplare für den Künstler
Provenienz
Galerie Brockstedt, Hamburg; seit 1993 in österreichischer Privatsammlung
Literatur
Chagall Lithograph 1962-1968 (III), Einführung von Julien Cain, Katalog von Fernand Mourlot und Charles Sorlier, Éditions André Sauret, Monte Carlo 1969, WV-Nr. 504; Patrick Cramer, Marc Chagall. The illustrated books. Catalogue raisonné, Genf 1995, Nr. 68; Ulrike Gauss (Hg.), Marc Chagall. Die Lithografien, La collection Sorlier, Katalog Staatsgalerie Stuttgart, 19. September 1998 -10. Januar 1999, WV-Nr. 504, Abb. S. 231; Sylvie Forestier, Marc Chagall. Das graphische Werk, Stuttgart 1988, vgl. Nr. 102, Abb. S. 106
Schätzpreis: € 3.000 - 6.000
Meistbot: € 3.500
Auktion ist beendet.
"Warum sind Clowns, diese Kunstreiterinnen und diese Akrobaten in meinen Visionen zugegen? Und warum erregen mich ihre Schminken und Grimassen? Mit ihnen nähere ich mich anderen Horizonten. Ihre Farben und Schminken ziehen mich nach anderen psychischen Verformungen, die ich zu malen träume." (Marc Chagall)
Marc Chagall liebte den Zirkus und fand in der Welt der Artisten eine schier unerschöpfliche Quelle der künstlerischen Inspiration, sowohl für seine Malerei als auch für sein druckgrafisches Schaffen. Dabei faszinierte ihn weniger das komische Schauspiel oder das akrobatische Geschick, sondern vielmehr die unterschwellige Tragik, die in seinen Augen den Zirkusfiguren anhaftete: "Ich habe Clowns, Akrobaten und Schauspieler immer als Wesen von tragischer Humanität betrachtet, die für mich Personen aus bestimmten religiösen Gemälden ähnelten. (…) Ein Zirkus ist für mich ein magisches Schauspiel, das wie ein Weltgeschehen vorbeizieht und schmilzt. Es gibt einen beunruhigenden, und es gibt einen tiefsinnigen Zirkus." (vgl. Kat. Staatsgalerie Stuttgart, S. 216)
Die Idee einer Lithografiefolge zum Thema Zirkus wurde vom Verleger und Kunsthändler Ambroise Vollard angeregt, der ein leidenschaftlicher Zirkusbesucher war und sogar eine eigene Loge im Circus d'Hiver in Paris besaß. Ende der dreißiger Jahre begann Marc Chagall mit einer Reihe von vorbereitenden Gouachen. Durch Vollards Tod 1939 fand das Projekt jedoch ein abruptes Ende. Erst 1962 setzte Chagall seine Arbeit an der dem Zirkus gewidmeten Lithografiefolge fort und griff dann auch auf die bereits früher entstandenen Gouachen zurück.
Die 38 Lithografien (davon 23 Farblithografien und 15 in schwarzweiß) umfassende Serie "Le Cirque" erschien 1967 beim Verleger Tériade, mit dem Chagall seit dem Ende der vierziger Jahre eine enge Freundschaft verband. Chagall schrieb als Ergänzung zu den Bildern auch Texte zur Zirkusserie, sodass ein Künstlerbuch entstand.
In den Lithografien kombiniert der Künstler das von der Zirkuswelt angeregte Vokabular mit typischen Elementen seines Figurenrepertoires. Aus dieser Verschmelzung von realen und fantastischen Motiven, die Chagall in einem additiven Verfahren wie zufällig vereint, ergeben sich unerwartete Bilderfindungen voller geheimnisvoller Mehrdeutigkeit.
Auf dem 15. Blatt von "Le Cirque" ist im Hintergrund ein übergroßer Löwe zu sehen, der mit offenem Maul seinen kleinen Dompteur bedroht. Diese dramatische Szene lässt den frontal wiedergegebenen Clown im Vordergrund völlig unbeeindruckt, während sein Blick direkt den Betrachter trifft. Die heterogenen Motive und Handlungsmomente der Darstellung bleiben ohne Zusammenhang und offen für die assoziative Imagination des Betrachters. (CMG)