Auktionshaus

Auktion: Klassische Moderne

26. November 2013, 17:00 Uhr

0553

Franz Wiegele*

(Nötsch im Gailtal 1887 - 1944 Nötsch)

„Bildnis des Kleinbauern Lorenz Schwei als Halbfigur“
1908
Öl auf Leinwand
92 × 69 cm

Provenienz

1908 von Dr. Michael Hainisch erworben; seither in Familienbesitz

Literatur

Richard Milesi, Franz Wiegele, Oeuvrekatalog von Elisabeth Reichmann-Enders, Buchreihe des Landesmuseum für Kärnten, 2. Band, Klagenfurt 1957, S. I (o. Abb.); Gerbert Frodl und Elisabeth Brandstötter (Hg.), Franz Wiegele, Salzburg 2007, WV-Nr. 18, Abb. S. 10 und S. 88

Schätzpreis: € 150.000 - 200.000
Auktion ist beendet.

Das Gemälde wurde unmittelbar nach seiner Entstehung 1908 von Bundespräsident Dr. Michael Hainisch gekauft und blieb ohne Unterbrechung im Besitz seiner Familie. Eine kleinformatige Ölskizze auf Leinwand, die allein das Gesicht des Portraitierten zeigt, befindet sich im Familienbesitz Wiegele.

Das Portrait des Nötscher Bauern Lorenz Schwei in Halbfigur kann mit vollem Recht als das museumsreife Hauptwerk Franz Wiegeles aus dessen symbolistischer, frühester Werkphase bezeichnet werden. Es ist 1908, noch vor dem großformatigen Gemälde „Akte im Wald“ (1911, 200 x 200 cm, Österreichische Galerie Belvedere) entstanden und reagiert auf die Malerei der Secession, vor allem Gustav Klimts.

Im Sinn der Gestaltungsprinzipien des Symbolismus (Jugendstil), ist der alte Bauer in reiner Frontalansicht gegeben. Obwohl es sich um das Portrait eines Sitzenden handelt, sind die raumbildenden malerischen Werte weitgehend unterdrückt. Die Betonung der Konturen, aber auch die auf Grautöne gestimmte Farbigkeit, verleihen dem Gemälde ein hohes Maß an suggestiver Präsenz des Dargestellten. Der Kopf ist scharf charakterisiert, äußerst eindrucksvoll.

Es ist Wiegele hier zweifellos nicht allein um die „Darstellung eines Bauern“ gegangen, eines einfachen, armseligen Menschen, der aus einem gewissen „volkskundlichen“ Interesse aufgefordert wurde, Modell zu sitzen. Wiegele arbeitet viel mehr einen sehr spezifischen Charakter heraus, das Besondere des Mannes, das nichts mit den geläufigen Vorurteilen gegenüber einer „ungebildeten Bauernschaft“ zu tun hat, im Gegenteil: Wiegele zeigt den Menschen als Inbegriff einer starken und intensiven Existenz. Man könnte zu deren Interpretation vielerlei psychologische Begriffe verwenden, die aber in jedem Fall von Wiegeles subtiler Gestaltungskraft übertroffen werden.

Der Maler zeigt den innersten Menschen an seinem Äußeren, er spiegelt ihn nach außen, er steigert das Menschenbild bei aller Individualität zu unübertrefflicher existenzieller Bedeutung, Intensität und damit auch Nobilität. Es geht hier zweifellos nicht um die Charakterisierung eines Standes oder bestimmter persönlicher Eigenschaften. Der Mensch erscheint viel mehr auf der Höhe einer allgemeinsten, aber auch grundlegendsten existenziellen Wirklichkeit erfasst, wo selbst die Frage ob Held, Herrscher oder Heiliger – oder was immer auch – obsolet wird: Es geht allein um die Erzählung des Seins in diesem einen, einzigen Moment, der alles sichtbar macht.

In diesem Sinn lässt Wiegeles Portrait des Bauern Schwei weit über das stumpfe Pathos einer volkstümelnden Landwirtschaftsmalerei und ihrer Protagonisten weit hinter sich – von Defregger über den frühen Egger-Lienz bis zu all den von Blut und Boden triefenden Künstlern der Zwischenkriegs- und Nazizeit: Offenbar wollte Wiegele eine Ikone schaffen, auf ihre – säkularisierte – Weise, ein „vera icon“, das wahre Bild des Menschen, das alles zufällige, nebensächliche, anekdotische, zeitliche abwirft zugunsten des Numinosen, Unsäglichen, Unbegreiflichen, das allein den Menschen letztlich zutiefst erfasst.

Zweifellos hat Wiegele mit dem Portrait des Bauern Schwei – gerade im Kontrast zur großen Wiener Welt um 1900 – eines der bedeutendsten, eindringlichsten Portraits geschaffen, die unmittelbar an der Schwelle zur Moderne in Österreich entstanden sind. (Otmar Rychlik)