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Rainer Fetting*
(Wilhelmshaven 1949)
„Ich Find Dich Geil I (Aussicht)“
1982
Dispersion auf Leinwand
275 × 210 cm
Rückseitig datiert und bezeichnet: 82 Ich find dich geil I
Provenienz
seit 1983 Privatbesitz, Deutschland
Ausstellung
Landesmuseum Berlin, 2011
Dieses Gemälde stammt aus einer im Jahre 1982 gemalten Reihe von insgesamt drei Gemälden: "Rückenakt" (Ausblick), "Ausblick" (Pilatus) und "Ich find dich geil I" (Aussicht). Eines davon hängt bei einer bekannten deutschen Werbeagentur, ein weiteres, "Ausblick" (Pilatus), befand sich bis vor kurzem im deutschen Bundeskanzleramt in Berlin und sorgte bei Staatsbesuchen wie z.B. von Barack Obama für eine starke Medienpräsenz.
Schätzpreis: € 50.000 - 100.000
Meistbot: € 75.000
Auktion ist beendet.
Aufgerichtet und dennoch lässig steht der junge Mann vor dem Ausblick in eine Berglandschaft und präsentiert dem Blick des Betrachters ohne jede Scheu seine Blösse. Monumental und bildbeherrschend ist der schlanke und dennoch muskulöse Körper zwischen oberem und unterem Bildrand ausgespannt. Mit kräftigen Pinselstrichen und leuchtenden Farben sind die Rundungen und das Muskelrelief modelliert. Der Dargestellte hat beide Arme auf den eigenen Körper zurückgeführt; der rechte ist bogenförmig über den Kopf gelegt, während der linke nach oben angewinkelt ist und die Hand so den Nacken berührt. Man mag beides als Zeichen von Selbstbezogenheit und Versunkenheit verstehen. Doch wird man nicht fehlgehen zu vermuten, dass der Dargestellte die so lässig erscheinende Pose nicht zuletzt eingenommen hat, um sein beeindruckendes Muskelspiel zur Geltung zu bringen. Der an Direktheit kaum zu überbietende Titel des Bildes „Ich find dich geil“ legt nahe, dass diese Avancen auf fruchtbaren Boden gefallen sind.
Rainer Fetting schuf das grossformatige Gemälde mit der lebensgrossen Darstellung des Jünglings nach einem wohl durch Bruno Bischofberger, einen seiner damaligen Galeristen, vermittelten Besuch in der Schweiz. Charakteristisch für Fettings Arbeitsweise, der eine gelungene Bildformulierung mehrfach durchspielt, um Farb- und Formvarianten zu erproben, gehört es zu einer Reihe ähnlicher Darstellungen, in denen er eine jugendliche, männliche Aktfigur mit dem Ausblick auf eine alpine Landschaft verband.
Abgesehen von dem Unverständnis und Unwillen, die die „Wiederkehr“ der gegenständlichen Malerei in Teilen der Kunstwelt an der Wende von den 1970er- zu den 1980er Jahren auslöste, dürfte auch diese unverfrorene und durch keine literarische oder symbolische Begründung kaschierte Darstellung des nackten, männlichen Körpers zu diesem Zeitpunkt noch irritiert haben. Schliesslich lagen die beiden Reformen des § 175, der nach dem Krieg in seiner von den Nationalsozialisten verschärften Form unverändert übernommen worden war, in der Bundesrepublik keine zehn Jahre zurück, und auch in der bildenden Kunst war die Darstellung des männlichen Körpers unter dem Vorzeichen mannmännlichen Begehrens abgesehen von einzelnen Werken wie denen von Andy Warhol (1928-1987) oder David Hockney (* 1937) alles andere als salonfähig. Fetting jedoch hat aus seinem Begehren – sei es in seinen Gemälden oder in seinen Filmen – nie einen Hehl gemacht. Denn er verstand dies – ganz im Sinne seiner Sozialisation in den späten 1960er und 1970er Jahren – durchaus als probates Mittel der längst fälligen gesellschaftlichen Veränderung: „Ich denke Salomé und ich haben durch unsere Bilder zur Emanzipation der Homosexuellen in der Kunst einen enormen Beitrag geleistet […] Ich […] wollte männliche Erotik eher als etwas ganz Normales, Natürliches oder Selbstverständliches zeigen. Den ‚Mann‘ gab es bisher in der Kunst fast nur aus der verklemmten und verschämten Perspektive des Heterosexuellen, der gleichgeschlechtliche Erotik schlicht verdrängte. Erotische Begierde war aus Männersicht immer lediglich auf die Frau bezogen.“
Doch das Gemälde erschöpft sich nicht in dieser gezielten Provokation, sondern legt einmal mehr Zeugnis von Fettings profunder Kenntnis der europäischen Malereitradition ab, die er schon in seinen frühen Werken einsetzte, um sie mit verschiedenen Sinnebenen aufzuladen. So hatte er in dem 1974 entstandenen Selbst als Gustaf Gründgens die visuelle Anspielung auf eine bekannte Porträtfotografie des titelgebenden, schillernden Schauspielers, der – obwohl selbst homosexuell – sich den Nazis als Staatsschauspieler andiente, mit der offenen, kleinteilig-bewegten Malfaktur eines Lovis Corinth (1858-1925) verbunden und diese wiederum durch die Staffelung von Leinwänden im Hintergrund des Bildraums mit dem berühmten Selbstbildnis des Nicolas Poussin (1594-1665) aus dem Pariser Louvre verschränkt. So kreuzen sich denn auch Ich find dich geil I mehrere Bezüge auf die Malereitradition.
Offensichtlich ist die Verwendung der Rückfigur als Bildformel. Obschon seit der römischen Antike in Gebrauch , machte sie erst Caspar David Friedrich (1774-1840) vom blossen Repoussoir zum Vermittler zwischen Betrachter und Bildraum: Indem er die Figuren in den Anblick der vor ihnen liegenden Landschaft versunken zeigte, gab er dem Betrachter nicht nur die Haltung vor, die dieser selbst vor dem Bild einnehmen sollte. Vielmehr schuf Friedrich so das bildkünstlerische Äquivalent für die im zeitgenössischen Denken verankerte Vorstellung einer Wechselbeziehung, ja eines Zusammenklangs von Mensch und Natur. Im Gegensatz allerdings zu Friedrichs sittsam gekleideten Damen und Herren, die einzeln oder zu zweien den Mond oder eine ferne Stadtsilhouette betrachten, dürfte Fettings Jüngling selbst erst einmal die Blicke auf sich ziehen, bevor diese in die Weite der Hochgebirgslandschaft weiterwandern.
Der Typus der Landschaft nun gibt einen Hinweis auf die zweite Quelle für Fettings Ich find dich geil: Nicht nur das Motiv, sondern auch die bewegte, zusammenfassende Malweise und die das Bild gänzlich beherrschenden, leuchtenden Farben in oftmals komplementären Kontrasten legen die Verwandtschaft des Bildes mit den frühen Bergbildern Ernst Ludwig Kirchners (1880-1938) aus der Zeit um 1917 nahe. Kirchner hatte sich mit Unterbrechungen seit Anfang 1917 in Davos aufgehalten, wo er – nach einem körperlichen und seelischen Zusammenbruch vom Kriegsdienst befreit – zu genesen und sich von seiner Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit zu befreien hoffte. Die Berge und ihre Bewohner erschienen ihm als bukolische Gegenwelt zur Metropole Berlin, und so verklärte Kirchner seine neue Umwelt in seinen leuchtend farbigen Gemälden, Zeichnungen und Holzschnitten, Skulpturen und Textilien zu einem Paradies, in welchem der noch unentfremdete Mensch und die ihn umgebende Natur in Einklang existierten.
Auf Kirchner hat sich Rainer Fetting immer wieder bezogen, so in Bildern wie Grosse Dusche II, 1980, dessen Verwandtschaft zu Kirchners Soldatenbad von 1915 Fetting selbst herausgestellt hat: „Ein starkes Bild war auch das Soldatenbad von Ernst Ludwig Kirchner, das ich New York gesehen hatte. Das wollte ich unter diesem Auschwitz-Aspekt neu gestalten. Und es hatte natürlich auch mit der Erotik der Männer zu tun.“ Hatte Fetting sich schon in seinen Duschen-Bildern die Ambivalenz von Erotik und Bedrohung des Kirchnerschen Vorbildes anverwandelt, so spürte er auch in Ich find dich geil Kirchners Vision einer ursprünglich unschuldigen Welt nach. Nicht allein ist ihm ungehemmt gelebte Sexualität wie auch bei Kirchner zentrales Element eines freien Lebens jenseits bürgerlicher Konvention. Auffällig ist auch der Einklang zwischen der Armhaltung des jungen Mannes und der Bergformationen im Hintergrund, den man durchaus im romantischen und im Kirchnerschen Sinn als Symbol einer Hoffnung auf Einheit zwischen Mensch und Natur verstehen darf. Dass dieser Einklang in keiner anderen Variante der Bildidee so ausgeprägt ist wie bei Ich find dich geil, macht den Rang des Bildes aus. (Dr. Heinz Stahlhut, Sammlungskonservator, Kunstmuseum Luzern, Schweiz; der Artikel erscheint auch im Journal im Kinsky, Nr. 3, Dezember 2013)