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Deborah Sengl
(Wien 1974)
„Die letzten Tage der Menschheit“
2013
Druckgrafik auf Papier
42 x 60 cm; Ed. 60/90
Nummeriert links unten: 60/90
Handschriftlich signiert und datiert rechts unten: Deborah Sengl, 2013
Diese Druckgrafik ist eine exklusive Edition der Sammlung Essl Privatstiftung.
Schätzpreis: € 200
Meistbot: € 400
Auktion ist beendet.
Deborah Sengl wurde 1974 in Wien geboren und hat bei Christian Ludwig Attersee studiert. Sie lebt und arbeitet in Wien. In ihren Malereien, Zeichnungen und Skulpturen überträgt sie immer wieder allgemein menschliche Fragestellungen auf das Tierreich und untersucht das Rollenverhalten in unserer Gesellschaft.
„Ich bediene mich deswegen des Tiers als Metapher, weil ich finde, dass man ablenkt, wenn man Menschen darstellt. Man lenkt mit der Physiognomie ab, jeder beginnt, seine subjektive Sicht auf diesen Menschen zu haben.“ Das sei bei einem Tier nicht der Fall, so Sengl, „es ist nur mehr ein Stellvertreter für einen Charakterzug, für eine Handlungsform, für ein Verhalten“.
ZUM WERK
Anlass für die Druckgrafik war die gleichnamige Ausstellung Sengls im Essl Museum 2014. Für ihre erste große Museumspräsentation hat die österreichische Künstlerin eine raumgreifende Arbeit geschaffen, die Geschichte, Literatur und zeitgenössische Kunst auf außergewöhnliche Weise miteinander verbindet. Im Jahr 2014 jährte sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum hundertsten Mal. Wohl kein anderes literarisches Werk hat die Stimmung der damaligen Zeit und die Unmenschlichkeit und Absurdität des Krieges so komprimiert und präzise eingefangen wie „Die letzten Tage der Menschheit“ (1915-1922) von Karl Kraus. Sengl reagierte in ihrem bis dahin größten Werk mit unverwechselbarem Gespür auf Kraus’ Text und interpretiert Szenen und Dialoge künstlerisch neu. Im Großen Saal des Essl Museums wurden rund 200 weiße Ratten (Tierpräparate), teils bekleidet und mit Accessoires versehen, in unterschiedlichen Posen arrangiert. In über vierzig Gruppen angeordnet und mit Zeichnungen und Malereien ergänzt, ließen sie die Protagonisten aus Kraus’ Roman lebendig werden. „Wir beide beobachten von außen und dokumentieren, was wir sehen“, äußerte sich Sengl über ihre Verwandtschaft zu Karl Kraus. „Ich stelle eigentlich immer nur das dar, was ich erlebe, was ich in unserer Zeit, in unserer Gesellschaft sehe. Ich erfinde nichts dazu. Das hat auch Karl Kraus gemacht, ‚Die letzten Tage‘ sind hauptsächlich eine Ansammlung von Zitaten und gesprochenem Wort.“ Sengl sah ihre Arbeit als eine „freie künstlerische Interpretation“ von Kraus’ Werk, wobei sie darin sehr viel Aktuelles und Zeitgemäßes entdeckt hatte: „Das Werk liegt zwar hundert Jahre zurück, aber für mich ist es immer noch zeitaktuell. Wir haben vielleicht keinen Krieg in unmittelbarer Nähe, aber der Krieg in uns ist nach wie vor genau so stark, wenn nicht stärker, vorhanden wie damals.“
Die Druckgrafik entstand im Spätherbst 2013 in der Steindruckerei Chavanne Pechmann in Apetlon (Burgenland) und lehnt sich an die zahlreichen Zeichnungen an, die Sengl für die damalige Ausstellung geschaffen hat. Es ist eine Zusammenstellung mehrerer Szenen: im Vordergrund ist als schwarze Ratte Karl Kraus als „Nörgler“ zu erkennen; er betrachtet das sich vor ihm abspielende Szenario, das von der Ausrufung des Krieges über die Kriegsberichterstattung bis zu Gewalttaten an der Front reicht.
(Günther Oberhollenzer)