5019
Alfred Hrdlicka*
(Wien 1928 - 2009 Wien)
„Modell mit Zweitfrisur“
1974
Weißer attischer Marmor
H. 62 cm
Provenienz
Galerie Valentien, Stuttgart;
seit 1976 österreichischer Privatbesitz
Literatur
Vgl. Michael Lewin, Alfred Hrdlicka - Das Gesamtwerk Bildhauerei. Wien - Zürich 1987, S. 238.
Schätzpreis: € 35.000 - 70.000
Meistbot: € 35.000
Auktion ist beendet.
„Die abstrakte Kunst hat die Kunst der Abstraktion ad absurdum geführt“ (Sylvia C. Weber (Hg,), Alfred Hrdlicka, Bildhauer. Maler. Zeichner, Ausstellungskatalog, Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall 2008, S. 25), schreibt Alfred Hrdlicka 1979 als Professor der Stuttgarter Bildhauerklasse. Seiner Meinung nach abstrahiert jeder Künstler in gewissem Grad, aber die komplette Gegenstandslosigkeit erscheint ihm leer und hohl und ist somit radikal abzulehnen. Wichtigstes Thema ist ihm die menschliche Figur, der Mensch in all seinen Facetten, den er nicht als harmonische Persönlichkeit, sondern als zwiespältiges Wesen, dem das Hässliche, das Obszöne und Gewalttätige nicht fremd ist, zeigt. „Die Kunst kann sich nur durch den Menschen ausdrücken. Ihr Thema ist das menschliche Schicksal." (Julia Klarmann, Alfred Hrdlicka: Überblick über das Werk des Wiener Bildhauers auf: https://cle.ens-lyon.fr/allemand/arts/peinture-et-sculpture/alfred-hrdlicka-yberblick-yber-das-werk-des-wiener-bildhauers, aufgerufen am 13.5.2024)
„Modell mit Zweitfrisur“ zeigt einen monumentalen Frauenkörper in der Tradition eines Aristide Maillol. Aber geht es Alfred Hrdlicka tatsächlich um die rein ästhetische Wiedergabe eines weiblichen Körpers? Allein die Haltung der an dem unbehauenen Marmorblock kauernden Frau kann nicht als lustvoll lockend oder rein erotisierend bezeichnet werden. Die Arme hat sie in abwehrender Schutzhaltung vor und um den Kopf gelegt. Das Gesicht ist teils von diesen, teils von der „Zweitfrisur“ verdeckt. Trotz ihrer Robustheit wirkt diese Frau verletzlich und schutzbedürftig. Eros dient Alfred Hrlicka immer auch zur Manifestation von Gewalt und seine Skulpturen demonstrieren „Körpergefühl, sind Schaustellung der eigenen Physis und Neigungen, nahe am Striptease“ (Alfred Hrdlicka in: Trautl Brandstaller, Barbara Sternthal (Hg.), Hrdlicka. Eine Hommage, Salzburg 2008, S. 36). Es geht um ein schonungsloses Offenlegen um Entblößung und Bloßlegung, die sich auch in der Technik der ‚Taille Directe‘, der unmittelbaren Arbeit in Stein ohne künstlerische Vorlage, niederschlägt. Schicht um Schicht treten die Figuren aus dem Block, Teile des Ausgangsmaterials, in diesem Fall Marmor, werden bewusst belassen. „So sind die meisten meiner Skulpturen, auch die ‚vollständigen‘, Bruchstücke eines Geschehens, herausgebrochene Momentaufnahmen...“ (Alfred Hrdlicka in: Trautl Brandstaller, Barbara Sternthal (Hg.), Hrdlicka. Eine Hommage, Salzburg 2008, S. 36) sagt Alfred Hrdlicka, der zweifelsfrei zu den herausragendsten Bildhauern seiner Zeit gehört.
(Sophie Cieslar)