Auktionshaus

Auktion: Alte Meister

08. November 2022, 15:00 Uhr

0016

Bernardo Bellotto

(Venedig 1720 - 1780 Warschau)

„Reiterbildnis des königlichen Pagen Gintowt“
1773
Öl auf Leinwand
60,3 x 55,5 cm

Provenienz

1773 im Auftrag Stanislaus II. August Poniatowski, König von Polen, geschaffen;
dessen Sammlung, Königlicher Palast in Warschau;
Sammlung Fürst Joseph Poniatowski, Schloss Belvedere, Warschau, ab 1798;
Sammlung Henry Kent, Florenz, 1910-11;
Privatsammlung, Frankreich;
Sotheby‘s Monaco, 5. Dezember 1991, Lot 167;
Sammlung Erna Weidinger (1923–2021)

Ausstellung

1910 Mailand Le tre espositioni rettrospecttive MCMVIII-MCMX. Ausstellung Miniaturen und Fächer, Giovanni Carnevali, bekannt als il Piccio, Porträts aus dem achtzehnten Jahrhundert, S. 72, Nr. 18, pl. XIII
1911 Florenz, Mostra del ritratto italiano dalla fine del sec. XVI all' anno 1861, S. 80, Nr. 13

Literatur

Catalogue des tableaux appart enant a sa Majeste le Roi de Pologne, Varsovie, Chateau Royal, 1795, Nr. 459 (Kataloghandschrift veröffentlicht in Mankowski [op. cit. infra])
Sebastiano Ciampi, Bibliografia critica delle antiche reciproche corrispondenze, vol. II, Florenz 1839, S. 237, Nr. 34
E. Ratawiecki, Slownik malarzow polski ch tudziez obcych w Polsee osiadlych lub czasowo w niej przebywajncych, Warschau, 1850, Bd. I, S. 55, Nr. 35;
Raymond Fournier-Sarloveze, Les peintres de Stanislas-Auguste II, Roi de Pologne, Paris, 1907, S. 144, Nr. 459;
A. Koltonski, "Wystawa portetu we Florencyi" in: Sfinks, November 1911, Nr. 47, S. 258
Pawel Ettinger, "Bellotto v Varshave" in: Stariye Godiy, Oktober-Dezember 1914, S. 13 und 14
Tadeusz Mankowski, Galerja Stanislawa Augusta, Bd. 1, Lwow, 1932, S. 62 und 161
Hellmuth Allwill Fritzsche, Bernardo Bellotto genannt Canaletto, Burg b. Magdeburg 1936, S. 126, Nr. 197
Egidio Martini, La Pittura veniziana del Settecento, Venedig 1964, Abb. 218
Barbara Krol-Kaczorowska, "Svolta di lavori fomiti alla Corte di Varsovia ed altri documenti bellotiani del periodo polacco" in: Bulletin du Musee National de Varsovie, 1966, VII, S. 68
Stefan Kozakiewicz, "Ricostruzione di un gruppo di dipinti bellotiani del periodo polacco" in: Bulletin du Musee National de Varsovie, 1967, VIII, Nr. 1-2, S. 32-45, (Abb. 9, S. 39)
Stefan Kozakiewicz, Bernardo Bellotto, London 1972, vol. II, Kat.-Nr. 434, S. 390-391;
Ettore Camesasca, l' Opera completa del Bellotto, Mailand 1974, S. 116, Nr. 253;
Alberto Rizzi, Bernardo Bellotto. Warschauer Veduten, München 1991, S. 133;
Bozena Anna Kowalczyk, Bellotto and Canaletto. Wonder and Light, Mailand 2017, S. 268 (Farbabb.)

Schätzpreis: € 250.000 - 500.000
Ergebnis: € 916.000 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

Das Gemälde ist Teil einer Serie von vier bekannten Reiter- bzw. Pferdebildnissen Bernardo Bellottos und wurde für den polnischen König Stanislaus II. August Poniatowski (1732-1798) geschaffen. Im Jahre 1773 notierte Bellotto in seinen Aufzeichnungen der für den Hof gelieferten Werke: „quattro picolli quadri die invenzione con cavalli presi dalla natura e Figure...“, für welche er insgesamt die Summe von 200 Dukaten erhalten hatte (Kozakiewicz, 1972, S. 388).
Während sich zwei dieser Gemälde „Reitstunde des Fürsten Joseph Poniatowski gehalten von Oberst Königsfels“ (Abb. 1) und „Pferdeknecht ein Pferd führend“ (Abb. 2) heute im Nationalmuseum Warschau befinden, ist das „Reiterbildnis eines Polnischen Husarenoffiziers“ (Abb. 3) im Kunsthistorischen Museum, Wien, beheimatet (vgl. Kozakiewicz, 1972, S. 387-91, Nr. 431-433). Der Verbleib des vorliegenden Werkes war lange unbekannt. Um 1910/11 war es durch Ausstellungen und eine Schwarzweißabbildung in der Sammlung Kent, Florenz, dokumentiert, bis es schließlich aus einer französischen Privatsammlung stammend 1991 in Monaco auf einer Auktion wieder aufschien. 2017 wurde es dann von Bozena Anna Kowalczyk (wohl erstmals) in einer wissenschaftlichen Publikation in Farbe abgebildet (Kowalczyk 2017, S. 268).

Die für den polnischen König geschaffene, nahezu quadratische Vierer-Serie besteht aus zwei leichten Querformaten und zwei leichten Hochformaten. Wohl aus mangelnder Dokumentation gibt die Literatur für vorliegendes Gemälde jedoch jeweils die identen Maße zu dem Werk im Kunsthistorischen Museum an, wobei der heutige Bildausschnitt jenem der Abbildung im Ausstellungskatalog von 1910 entspricht. Eine vergleichbare Capricci-Serie Bellottos mit unterschiedlichen Formaten, jeweils zwei Quer- und zwei Hochformaten findet sich in der Galleria Nazionale in Parma (vgl. Kowalczyk 2017, S. 268 u. 148).
Die beiden Warschauer Gemälde zeigen Pferde und Figuren vor dem Hintergrund einer phantasievoll-monumentalen Barockarchitektur mit Palastflügeln, Portiken und einem Arkadengang, während die beiden hochformatigen Werke die stolzen Reiter beim Ausritt in einer südlichen, ebenfalls imaginären Landschaft zeigen, welche im Hintergrund Capricci-artige Bauelemente enthält. Alle vier Werke sind durch die sie dominierenden, strahlend weißen Rösser verbunden. Auch die in Rot und Grün leuchtenden Uniformen ziehen sich als verbindendes Element durch die Gemälde.

Im Gegensatz zu den Posen der anderen Werke, ist der „Page Gintowt“ und sein Schimmel nahezu frontal abgebildet. Beide blicken den Betrachter erhoben an und scheinen nahezu auf diesen zuzureiten. Alberto Rizzi beschreibt diese emotionale Ausdruckseinheit von Pferd und Reiter wie folgt: „Dieser Reiter, der mit angelsächsischer Sicherheit im Sattel sitzt, erinnert ein wenig an jene Diener, die das Gehabe ihrer Herren annehmen und sie dabei karikieren… Der Oberkörper des jungen Mannes ebenso wie der Kopf seines nicht minder eleganten Pferdes heben sich gegen den Himmel ab, ein Effekt, der der Darstellung einen majestätischen Charakter verleiht.“ (Rizzi 1991, S. 133).
Der Dargestellte ist durch den ursprünglichen Titel „Le page Gintowt à cheval, suivi d’un palfrenier à livrée du Roi“, 1795 aufgeführt im Katalog der Galerie des Königs Stanislaus II. August Poniatowski, eindeutig zu identifizieren (Mankowski 1932). Stefan Kozakiewicz widmete dieser Gruppe von Pferdebildern 1967 einen eigenen Aufsatz und stellt fest, dass der Reiter im Gegensatz zum in früheren Ausstellungen falsch überlieferten Titel („Adliger im sächsischen Kostüm“) die polnische Offiziersuniform trägt. Es handelt sich möglicherweise um Celestino Dziewialtowski Gintowt, später Major des königlichen Heers und Generaladjutant des Königs („È probabilmente Celestino Dziewialtowski Gintowt, figlio di Antonio, nel 1779 maggiore dell’esercito della Corona, nel 1780 aiutante di campo generale del re“, vgl. Kozakiewicz 1967, S. 42, Fußnote 21).

Auch wenn die Wurzeln derartiger Pferdedarstellungen im Rahmen von Herrscherbildnissen oder Illustrationen von Reitschuldarstellungen bis ins 16. Jahrhundert zurückgehen, ist diese Serie einzigartig im Schaffen Bellottos. Es sind des Künstlers erste Genrebilder. „Obgleich Szenen aus dem wirklichen Leben eine große Rolle in seinen Veduten spielten, waren sie nie vorher Hauptgegenstand der Darstellung. Dass sie gerade in Warschauer Zeit dazu wurden, entspricht der größeren Bedeutung, welche die Staffage allgemein in den Ansichten aus dieser Zeit einnahm. Wenn ihnen in den Veduten letztlich auch keine führende Stellung eingeräumt wurde, waren sie doch mit der wirklichen Umgebung in vollem Einklang; hier aber nun, wo sie Hauptthema sind, stellt der Künstler sie in einen irrealen Rahmen“. Waren bislang Pferde in Bellottos Veduten nur Staffageelemente, werden sie hier zu den Protagonisten. Sowohl bei den dargestellten Figuren handelt es sich um bestimmte hofnahe Personen, als auch die Pferde wurden wohl in den königlichen Ställen direkt von Bellotto studiert – „presi dalla natura“, wie der Künstler selbst vermerkt. „Die Anregung zu diesen Gemälden erhielt der Künstler wahrscheinlich vom König während der Arbeit an der im gleichen Jahr 1773 entstandenen großen „Ansicht von Warschau mit der Terrasse des Königlichen Schlosses“ (Abb. 4): sie hatte Bellotto mit den Themen und Personen seiner ersten Genrebilder vertraut werden lassen.“ (vgl. Kozakiewicz 1972, Bd. 1, S. 165 + 174ff.).
Neben den Vorlieben seines königlichen Auftraggebers spielte wohl des Künstlers eigenes Interesse an Pferden auch eine große Rolle zur Entstehung dieser Spätwerke – Bellotto starb bereits 1780 in Warschau infolge eines Schlaganfalls. Ausgebildet in der Werkstatt seines berühmten Onkels Antonio Canal (1697-1768), dessen Beinamen „Canaletto“ er auch in der Folge annahm, spezialisierte Bernardo Bellotto sich vornehmlich auf Veduten: zuerst der Tradition folgend jener seiner Heimatstadt Venedig, später dann die Städte seiner jeweiligen Auftraggeber, wie z.B. Dresden, München, Wien und zuletzt Warschau. Im 1746 entstandenen „Capricci mit dem Kapitol“ (Galleria Nazionale, Parma) verwendete Bellotto erstmals ein Pferd als markantes Figurenelement. Von da an spielten Pferde, Reiter und Kutschen zunehmend eine Rolle als Staffage in seinen Capricci und Veduten. Neben eigenen Studien dienten wohl auch die Darstellungen zeitgenössischer Künstlerkollegen, wie beispielsweise der berühmte englische Pferdemaler George Stubbs (1724-1806) als Inspiration (vgl. Kowalczyk 2017, S. 268 u. 148).