Auktionshaus

Auktion: Klassische Moderne

09. März 2022

2022

Ernst Nepo*

(Dauba 1895 - 1971 Innsbruck)

„Vision“
1916
Tempera auf Papier auf Leinwand
90 x 62,5 cm

Provenienz

aus dem Nachlass des Künstlers;
österreichischer Privatbesitz

Schätzpreis: € 25.000 - 50.000
Ergebnis: € 25.000 (inkl. Gebühren)
Auktion ist beendet.

Ernst Nepo gilt heute als einer der bedeutendsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit in Österreich und ist neben Albin Egger-Lienz, Artur Nikodem und Alfons Walde einer der wegweisenden Künstler Tirols. Im Ersten Weltkrieg wird der gebürtige Böhme zum Militärdienst eingezogen und ist mit dem 1. Tiroler Kaiserregiment in Galizien an der Ostfront und später an der Südfront stationiert. Die Schlachten in Galizien ab August 1914 endeten mit einer Niederlage und dem Rückzug der österreich-ungarischen Truppen. Auch die Südfront entwickelte sich zu einem Debakel für die Österreicher. In den blutigen Isonzoschlachten 1915-1918, in denen es auch zu Einsatz von Giftgas kommt, werden über eine Million Soldaten getötet, verwundet oder gelten seither als vermisst. Diese Jahre müssen für den knapp Zwanzigjährigen traumatisch gewesen sein. Dennoch gelingt es ihm auch in dieser schweren Zeit, sich künstlerisch zu entfalten. Bereits im Jahr 1917, noch während des Krieges, hat er seine erste Einzelausstellung in der Kunsthandlung Czichna in Innsbruck. Der Kontakt zur Tiroler Landeshauptstadt entsteht durch den Künstler Alphons Schnegg, den er an der Front kennenlernt und dem Nepo nach Kriegsende nach Innsbruck folgt. Dort begründen die beiden Maler gemeinsam mit Rudolf Lehnert und Herbert Gurschner den sogenannten „Mühlauer Kreis“.

Neben den eindrucksvollen Porträts, mit denen Ernst Nepo rasch Bekanntheit erlangt, gehören auch Stillleben, Landschaften und religiöse Themen zu seinem beeindruckenden Repertoire. „Vision“, 1916 während des Krieges entstanden, ist eindrucksvolles Zeugnis seiner Auseinandersetzung mit den Gräuel, die er überlebt hat. Stilistisch offenbaren sich in diesem Bild die künstlerischen Wurzeln Nepos, die im Jugendstil und Symbolismus eines Ferdinand Hodler oder Giovanni Segantini liegen. Die qualvolle Windung der ans Kreuz geschlagenen Figur erinnert formal an Segantinis „Die bösen Mütter“, in denen eine schwangere Frau schwebend den Kurvaturen der krummen Äste eines Baumes folgend dargestellt ist. Hier ist es eine gepeinigte, ausgezerrte Männerfigur, kein Christus, sondern der Mensch schlechthin, der sich gegen sein Schicksal sträubt. Um den ausgemergelten nackten Körper ringelt sich eine grüne Schlange. Diese kann als Zeichen des Sündenfalls interpretiert werden, erinnert aber auch an die um einen Stab gewundene Natter des Äskulap, den griechischen Gott der Heilkunst, der mit Hilfe der magischen Kräfte des Blutes der Medusa Tote wieder zum Leben erwecken konnte. Die Gorgone selbst, erkennbar an ihren Schlangenhaaren und dem schrecklichen Blick, der einen zu Stein erstarren lässt, ist links unten zu sehen. Insgesamt vier Gesichter, Medaillons gleich, werden vom dichten Rauch, der den Bildhintergrund aus den züngelnden Flammen rechts und links aufsteigend ins Dunkle hüllt, freigegeben. Sie zeigen alle möglichen Emotionen von Grauen über Wut, zu Trauer und Fassungslosigkeit. Der zügige Pinselstrich und die intensive Farbgebung dieses Bildes verweisen auf eine frühe Rezeption des aufkeimenden Expressionismus, den Ernst Nepo in den folgenden Jahren zugunsten der Neuen Sachlichkeit aufgeben wird.
(Sophie Cieslar)